In Gedenken an die Opfer der Shoah

Einblicke in die Lebensgeschichte jüdischer Vereinsmitglieder

Die Stolpersteine von Albert und Arthur Rosenthal vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in Bremen (Foto: WERDER.DE).
Die Stolpersteine von Albert und Arthur Rosenthal vor ihrem ehemaligen Wohnhaus am Osterdeich 107e unmittelbar neben dem wohnivest WESERSTADION (Foto: WERDER.DE).
Gesellschaft
Freitag, 26.01.2024 / 17:55 Uhr

Von: Till Gaßmann

Die fast 125-jährige Vereinsgeschichte von Werder Bremen ist seit seiner Gründung am 4. Februar 1899 mit jüdischen Lebensgeschichten verknüpft. Im Rahmen des internationalen Holocaust-Gedenktages und dem !Niewieder-Aktionsspieltag gegen den SC Freiburg, blickt WERDER.DE auf zwei bewegende Schicksale von jüdischen Vereinsmitgliedern zurück.

Am morgigen 27. Januar 2024 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zum 79. Mal. Auschwitz-Birkenau gilt seitdem als Sinnbild für die Nationalsozialistischen Verbrechen und dem Holocaust. Die Verfolgung, Vertreibung und systematischen Ermordung durch die nationalsozialistische Diktatur machte auch nicht vor Werders jüdischen Vereinsmitglieder halt. Ihre Schicksale sind berührend.

Deportation und Ermordung: Die Familie Rosenthal

Die Familie Rosenthal, bestehend aus dem Ehepaar Albert und Caroline Rosenthal, sowie ihre drei Söhne Arthur, Herbert und Hermann, waren engagierte Mitglieder beim Fußballverein Werder. Albert Rosenthal (*1861 in Zbąszyń, heutiges Polen) kam vermutlich Ende der 1880er als junger Mann nach Bremen, wo er sich als selbstständiger Papierhändler niederlies. 1890 heiratete eher die gebürtige Bremerin Caroline Samuel (*1866) mit der er drei Söhne (*1892, *1895 und *1904) bekam.

Der Familienbetrieb fokussierte sich auf den Handel von Luxuspapierwaren, Glückwunschkarten und Souvenirs. Ab 1918 wohnten sie in unmittelbarer Nähe zum Weser-Stadion am Osterdeich 107e. Vor dem Haus befinden sich heute die Stolpersteine der Familie. Albert Rosenthal und seine drei Söhne brachten sich auf verschiedene Ebene in das Vereinsleben ein, etwa durch Ehrenämter oder Spenden für die von Werder genutzten Sportanlagen. Von der Familie trat Albert Rosenthal als erster im Jahr 1906 in den Verein ein und war zeitweise 2. Schriftführer des Vereins. Nach dem ersten Weltkrieg war er aktiver Kegler im Verein.

Der älteste Sohn Arthur Rosenthal trat 1914 dem Fußballverein Werder bei. Ab 1919 war er in der Funktion als „Obmann des Werbe- und Presseausschusses“ aktiv. Zu den Aufgaben gehörte beispielsweise die Mitgliederwerbung, Pressearbeit und Marketing. Posthum würdigte Vereinspräsident Alfred Ries 1964 Arthurs besondere Wirken und Engagement im Presseausschuss, welches nachhaltig die Entwicklung des Sportvereins geprägt habe.

Die beiden jüngeren Brüder Herbert und Herrmann machten es ihrem Vater nach. Herbert trat bereits 1913 dem Verein bei und engagierte sich, wie bereits sein Vater und älterer Bruder im Vereinsvorstand als „Obmann der Tennisabteilung“. Der jüngste, Hermann, trat 1918 der Jugendabteilung bei und spielte bereits mit 13 Jahren in Werders Liga-Reserve – u.a. später gemeinsam mit dem zukünftigen Vereinspräsidenten Alfred Ries.

In Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurden die Repressalien gegenüber Jüd:innen intensiviert. Dazu gehörten unter anderem die Boykottaufrufe jüdischer Geschäfte und die etwas später folgenden Berufsverbote (1938). Darunter litt auch das Geschäft der Familie Rosenthal, was sie in eine wirtschaftlich prekäre lag zwang. Dennoch blieb die Familie zunächst trotz zwischenzeitlicher Inhaftierung im KZ Sachsenhausen zunächst in Bremen. Wenige Monate nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 schaffte es Hermann über die Niederlande in die USA zu fliehen. Knapp ein Jahr später im April schaffte Herbert auch die Flucht.

Arthur Rosenthal und seine Eltern blieben in Bremen. Im November 1941 wurde Arthur wenige Monate vor seinen Eltern nach Minsk deportiert und dort bei der Massenexekution vom 28. Juli 1942 ermordet. Die Eltern wurden schließlich im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo Albert im Alter von 81 Jahren im November 1942 ermordet wurde. Seine Ehefrau Caroline überlebte die Internierung knapp. Ein Ende der Leidensgeschichte.war das nicht. Jahrelang mussten sie in der Nachkriegszeit um Entschädigungszahlungen für die Inhaftierung und die Enteignung ihres Unternehmens kämpfen.    

Zwischen den Stühlen: Theo Eggert

Theodore Eggert wurde am 19. Februar 1905 in Bremen geboren. Seine Mutter Julie Eggert war jüdischen Glaubens, weswegen Theodore (kurz Theo) nach Erlass der „Nürnberger Rassengesetze“ im September 1939 von den Nationalsozialisten als sogenannter „Halbjude“ bezeichnet wurde.  Für „Halbjuden“ waren zunächst die Repressalien und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten nicht so intensiv, wie bei Personen, die als sogenannte „Volljuden“ kategorisiert wurden. Dennoch waren auch sie von den gesetzlichen Repressalien betroffen und mussten auch jederzeit mit Übergriffen, Verhaftungen und Deportationen rechnen. Innerhalb des NS-Regimes gab es während des Krieges zudem Bestrebungen, auch die „Halbjuden“ im Deutschen Gebiet wie „Volljuden“, zu behandeln, so wie sie es in den besetzten Gebieten in Osteuropa bereits praktizierten, wo es diese Unterscheidung nicht gab.

Bereits als Jugendlicher schloss sich Theo Eggert dem SV Werder an, wobei die Abteilung allerdings unbekannt ist.  Aufgrund der Einordnung von den Nationalsozialisten als „Halbjude“ wurde Theo vermutlich nie aus seinem Verein ausgeschlossen. Theo Eggerts Leben im NS-Regime kann man gut symbolisch als „zwischen den Stühlen“ bezeichnen. Denn bei den Betroffenen „Halbjuden“ herrschte trotz der einschneidenden Maßnahmen durch die Nürnberger Gesetze die trügerische, aber verständliche Hoffnung, wenigstens als Arbeits- und Fachkräfte weiterhin gebraucht und geduldet zu werden. Dementsprechend zeigten die meisten von ihnen eine hohe Anpassungsbereitschaft und waren fleißig und arbeitswillig, um den vermeintlichen Makel der ihnen zugeschriebenen Herkunft ausgleichen zu können. So war Theo beispielsweise zeitweise Mitglied der NS-Volkswohlwahrt.

Mit Fortschreiten des Krieges und insbesondere im Zuge des gescheiterten "Hitler Attentats" im Juli 1944 wurden auch „Halbjuden“, wie Theo Eggert intensiver ins Visier der nationalsozialistischen Verfolgung genommen. Zuvor konnte er sich vermutlich durch sein gutes Netzwerk innerhalb von Bremen noch länger vor der Verhaftung durch die Gestapo und die Internierung in ein Arbeitslager drücken. In Folge von Razzien wurde er schließlich im November 1944 ins Arbeitserziehungslager Bremen-Farge inhaftiert, welches bereits seit 1940 in Betrieb war. Das Lager befand sich nur 2km entfernt von der im Frühjahr 1943 begonnenen Baustelle des U-Boot Bunker Valentin (Heute ein Denkort). Seit Ende 1943 herrschten dort durchaus vergleichbar schreckliche Zustände, wie im nahegelegenen KZ-Außenlager. Während seiner Inhaftierung wurde Theo Eggert unter anderem am Bunker Valentin eingesetzt.

Nach dem Krieg war er Teil einer Spruchkammer in Bremen, die Entnazifizierungsverfahren durchführte und half aktiv bei der Wiedergründung des Werder Ende März 1946 mit. Er erhielt die Mitgliedsnummer 4 und war zeitweise ab 1947 Vorsitzender des Vereins. Im Mai 1949 wurde Theo Eggert für seine hervorragende Vereinsarbeit mit der silbernen Ehrennadel ausgezeichnet.

Die Aufarbeitung der NS-Zeit

Im Zuge der aktiven Auseinandersetzung mit der Vereinshistorie und dem damit verknüpften Kapitel der NS-Zeit sind Personen aus dem Umfeld des SV Werder und dem Bremer Fan-Projekt auf Spurensuche gegangen und haben als Ergebnis vor knapp zwei Jahren das Buch „Werder im Nationalsozialismus – Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder“ herausgebracht.

In dem Buch sind mehrere Lebensgeschichten von Werders jüdischen Vereinsmitgliedern ausführlich nachgezeichnet. Neben den bereits in diesem Artikel kurz vorgestellten Biografien der Familie Rosenthal und Theo Eggert, kann man dort noch unter anderem die Lebensgeschichten von Alfred Ries, Leo Weinstein und Hugo Grünberg nachlesen. Das Buch ist für Interessierte in der WERDER-Fanwelt am wohninvest WESERSTADION und im Online-Shop erhältlich.

In diesem Jahr starten die Arbeiten an einer Dissertation zu persönlichen Kontinuitäten beim SV Werder rund um die NS-Zeit. Die voraussichtlich zweijährige Arbeit wird vom Verein durch ein Stipendium unterstützt.

Der Nachhaltigkeitsbereich des SV Werder Bremen wird mit Unterstützung unserer Nachhaltigkeitspartner umgesetzt. Seit Jahren fördern sie die Projekte und Programme und leisten so einen wertvollen Beitrag zur Umsetzung des nachhaltigen Engagements der Grün-Weißen. Informationen zu unseren Partnern gibt es hier.

 

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