"Es bleibt aber auch vieles unsichtbar"

Ronny Blaschke im Interview rund um den Protest zur WM

Ronny Blaschke vor einer Wand.
Ronny Blaschke ist ein freier Journalist und spricht im Interview über die WM (Foto: privat).
Profis
Sonntag, 18.12.2022 / 10:00 Uhr

Das Interview führte Moritz Studer

Die Fußball-Weltmeisterschaft neigt sich langsam dem Ende zu. Im Rahmen unseres grün-weißen Blicks auf die WM in Katar haben wir abschließend mit dem renommierten, freien Sportjournalisten Ronny Blaschke gesprochen. Blaschke schrieb unter anderem verschiedene Bücher zum Thema Politik im Fußball und ordnet im Interview mit WERDER.DE die Geschehnisse und den Protest rund um das Turnier ein. 

WERDER.DE: Moin Ronny, du hast gesagt, dass ein WM-Boykott der fünfte vor dem zweiten Schritt wäre. Wie viele Schritte haben wir in Deutschland stattdessen gemacht?

Ronny Blaschke: „Die WM wäre eine gute Gelegenheit gewesen, um uns in einer globalisierten Wirtschaft selbst zu hinterfragen – das hat mir ein wenig gefehlt. Schon vor der Weltmeisterschaft war Katar einer der größten Auslandsinvestoren in Deutschland, andersrum haben viele deutsche Firmen gutes Geld bei der WM verdient, ob als Stadionarchitekten oder Sponsoren der WM.“

WERDER.DE: Du hast Katar als einen Ort der Zweideutigkeiten bezeichnet.

Ronny Blaschke: „Natürlich gilt erstmal die Unschuldsvermutung, aber sichtbar wird es gerade insbesondere an den Korruptionsvorwürfen im Europäischen Parlament. Mich überrascht am meisten, wie plump das passiert ist. Eigentlich gibt die katarische Staatsführung viel für Lobbyisten aus. Katar ist eines der Länder mit dem höchsten pro Kopf Emissionsausstoßes und dem größten Wasserverbrauch und trotzdem haben sie beispielsweise 2012 die UN-Klimakonferenz organisiert…“

WERDER.DE: …und werben aktuell mit der klimafreundlichsten WM aller Zeiten.

Ronny Blaschke: „Ja, auch das gehört dazu. Diese PR-Kampagne ist relativ leicht zu entschlüsseln, weil sie einerseits zwar tausende Pflanzen anbauen, die Emissionen kompensieren sollen, die aber auch auf Kosten hoher Emissionen bewässert werden. Noch deutlicher wird die Widersprüchlichkeit am Beispiel der Pressefreiheit: Man kann in Doha kritischen Journalismus studieren, auf der anderen Seite ist Katar ein Land mit eingeschränkter Pressefreiheit. Das sind diese unterschiedlichen Ebenen.“

In Japan und Südkorea, zwei lupenreinen Demokratien, wird fast gar nicht über die Menschenrechtsverletzungen gesprochen.
Ronny Blaschke

WERDER.DE: In Deutschland haben sich viele vom Turnier abgewendet. Zumindest die TV-Einschaltquote ist drastisch gesunken. Die Zahlen konnten nicht ansatzweise mit den vorherigen Turnieren mithalten. Hat dich das überrascht?

Ronny Blaschke: „Naja, hinten raus sind die Zahlen wieder hochgegangen. Es ist natürlich viel weniger als 2014 oder 2018, aber immer noch jeder vierte Deutsche – zuletzt wurden auch Spiele ohne deutsche Beteiligung von fast zehn Millionen Menschen gesehen. In Ländern wie den USA, Japan oder Südkorea gab es wiederum Rekordquoten. Der springende Punkt ist, dass die Diskussion um Katar und gegen die FIFA nur in wenigen Ländern so stattfinden. Es ist toll, was in Bezug auf Alternativprogramm oder ein kritisches Bewusstsein teilweise auf die Beine gestellt wurde – aber es gibt zu wenig, um diese Bewegung international zu vergrößern.“

WERDER.DE: Du sprichst an, dass die Zahlen am Ende im Laufe des Turniers gestiegen sind. Tritt zu schnell der Gedanke auf, dass wir unsere Pflicht getan haben?

Ronny Blaschke: „Es wäre interessant gewesen, wenn Deutschland gut gespielt hätte und ins Halbfinale eingezogen wäre. Ich will das nicht kleinreden, weil ich es gute finde, was zum Beispiel mit Spendenläufen passiert ist. Es ist aber alles komplizierter, weil zum Beispiel staatliche Fluglinien aus den Golfstaaten auch ohne die WM europäische Klubs sponsern. Volkswagen, einem der wichtigsten Sponsoren des DFB, gehört zu einem beträchtlichen Anteil einem katarischen Staatsfonds.

WERDER.DE: Wie wurde die WM denn außerhalb von Deutschland wahrgenommen?

Ronny Blaschke: „Wir haben gesehen, dass es in Kroatien und England so etwas wie Public Viewing gab. In Japan haben die Menschen gefeiert. Japan und Südkorea sind zwei der größten vier Abnehmer von katarischem Gas und lupenreine Demokratien – dort wird fast gar nicht über Menschenrechtsverletzungen gesprochen. Genauso wenig in Brasilien oder Argentinien, wo die Menschen ihr letztes Geld für ein Ticket ausgeben. Da ist das in keiner Weise angekommen.“

Es ist billige Schlagzeilen-Produktion, wenn ein Gary Lineker fordert, dass sich englische Spieler doch bitte während der WM outen sollten.
Ronny Blaschke

WERDER.DE: Und warum ist das in Deutschland anders?

Ronny Blaschke: „Wir haben eine breite, pluralistische Medienlandschaft. Dazu sind die meisten Klubs mitgliedergeprägt und unsere Fankultur ist gut organisiert. Sie hat eine starke Stimme. Das Trügerische ist nur zu glauben, dass alle so denken wie wir.“

WERDER.DE: In Deutschland wurde während des Turniers vor allem über das Verbot der One-Love-Binde und die Reaktion der Spieler diskutiert. Wie sollte sich ein Sportler deiner Meinung nach während eines solchen Wettbewerbs verhalten?

Ronny Blaschke: „Natürlich finde ich es toll, wenn Fußballer sich differenziert zu politischen Inhalten äußern. Auf dem Niveau ist es aber schwer möglich, weil einige Spieler als globale Figuren vermarktet werden. Es ist eher in den Monaten vor der WM zu wenig passiert. Was auf keinen Fall hätte passieren dürfen, wäre wenn sich Spieler mit Regierungsmitgliedern über Social Media glorifizieren – das ist es aber auch nicht.

WERDER.DE: Die One-Love-Binde war Teil des deutschen Protests. Gab es überhaupt andere nennenswerte Protestaktionen?

Ronny Blaschke: „Die One-Love-Binde, die zum Beispiel die Innenministerin Faeser getragen hat, war eher ein innenpolitisches Zeichen. Die strukturelle Homophobie in Katar hat dabei keine Rolle mehr gespielt. Genauso ist es billige Schlagzeilen-Produktion, wenn ein Gary Lineker fordert, dass sich englische Spieler doch bitte während der WM outen sollten. Im Moment kippt die Stimmung eher, weil viele Leute zufrieden sind, weil alles perfekt organisiert ist. Dass Marokko im Halbfinale steht, passt zudem in das katarische Narrativ einer ‚Arabischen WM‘ – was aber Unsinn ist, weil nicht viele arabische Staaten wirklich von ihr profitieren.“

Das Finalstadion wurde von chinesischen Firmen gebaut, die Fußballmacht verlagert sich nach Osten.
Ronny Blaschke

WERDER.DE: Es gibt vermutlich nichts, was eine solche Strahlkraft hat wie eine Fußball-Weltmeisterschaft. Ist diese WM ein Spiegelbild des weltpolitischen Geschehens?

Ronny Blaschke: „Wir sehen, dass Katar mit der Weltmeisterschaft auf die Landkarte rückt. Es bleibt aber auch vieles unsichtbar. Das Finalstadion wurde von chinesischen Firmen gebaut, die Fußballmacht verlagert sich nach Osten. Katar will sich mehr Sicherheit erkaufen, viele Sponsoren kommen aus China und Katar, was für neue Machtzentren spricht.“

WERDER.DE: Wir haben mit der 25-jährigen Raja Aderdor gesprochen, die in Katar ihren Sport ausüben kann. Du hast mal gesagt, dass ein vier- bis sechswöchiges Fußball-Turnier ein Land nicht dauerhaft verändern kann. Was bleibt möglicherweise trotzdem?

Ronny Blaschke: „Ein bisschen kann es schon Einfluss nehmen, aber nicht grundlegend die Kultur verändern. Zum Thema Frauenrechte habe ich intensiv recherchiert. Es ist durchaus so, dass sich Frauen immer noch ihre Vormundserlaubnis holen. Die Begegnungen, die es gerade in Katar gibt und vorher nie gab, können sicherlich was verändern. Auf der anderen Seite gibt es starke konservative Strömungen. Dieses Land wird uns in der Zukunft in der Weltöffentlichkeit erhalten bleiben, weswegen es Sinn macht, sich mit Katar und seiner Bevölkerung weiterhin auseinanderzusetzen.“

WERDER.DE: Ein symbolträchtiges Bild der WM war, der kleine Block der Niederlande im Viertelfinale, „umzingelt“ von einem blauweißen argentinischen Fanmeer. Haben die europäischen Verbände und ihre Fans überhaupt noch den Einfluss, die FIFA nachhaltig zu verändern?

Ronny Blaschke: „Theoretisch würde es gehen, weil die besten Spieler der Welt immer noch in Europa spielen wollen. Das ist aber alles nicht mehr so leicht voneinander zu trennen, da Klubs teilweise Investoren aus Katar oder Saudi-Arabien gehören. Es ist alles miteinander verwoben, da sind die Verbände in gewisser Weise nur Gehilfen der Politik und der großen Wirtschaftsindustrie.“

Es wird sicherlich schwieriger, Sponsoren zu finden, aber nicht unmöglich. Mittlerweile kommen nur noch fünf Sponsoren aus der westlichen Welt.
Ronny Blaschke

WERDER.DE: Jetzt waren mit der WM auch nicht alle Sponsoren oder Ausrüster glücklich. Gibt es bei der FIFA ein Umdenken, das Turnier in weniger kritisch gesehene Länder zu vergeben?

Ronny Blaschke: „Naja, Gianni Infantino wollte schon mal Marketingrechte nach Saudi-Arabien vergeben und die WM alle zwei Jahre stattfinden lassen. Es wird sicherlich schwieriger, Sponsoren zu finden, aber nicht unmöglich. Mittlerweile kommen nur noch fünf Sponsoren aus der westlichen Welt. Die FIFA wird die vier Jahre mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden abschließen und davon auch Geld an die kleineren Verbände abgeben. Damit sichert sich Infantino unter anderem seine Wiederwahl.“

WERDER.DE: Die nächsten Turniere finden in Deutschland und Nordamerika statt. Werden die Events weniger politisch aufgeladen?

Ronny Blaschke: „Die Sportfunktionärsfamilie atmet vermutlich ein wenig durch. Die vermeintliche Ruhe kann aber auch dazu führen, dass Probleme unter der Oberfläche bleiben. Zwischen den Großevents vernetzen sich Funktionäre aus den Golfstaaten. Das wird alles weniger sichtbar sein, findet aber weiterhin statt und sollte uns zu denken geben.“

Lieber Ronny, vielen Dank für das Gespräch!

 

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