Zwischen Erschütterung und Erleichterung

Sandra Dinkeldein, Bremens schnellste Sprinterin, hört auf – für einen Neustart auf der Bobbahn ist es zu spät

Sandra Dinkeldein bleibt der Leichtathletik auch weiterhin verbunden
Leichtathletik
Dienstag, 19.09.2023 / 07:11 Uhr

Weser Kurier vom 16.09.2023 / Seite 31 / Sport / Redakteur: Olaf Dorow

Es ist ungefähr ein halbes Jahr her, da stürzte sich Sandra Dinkeldein in die Tiefe. Bobbahn Winterberg: Die Bremer Leichtathletin, schnellste Sprinterin der Stadt, probierte sich als Anschieberin von Junioren-Weltmeisterin Charlotte Candrix. Beim ersten Testlauf rutschte Dinkeldein aus, beim zweiten ging es in wilder Fahrt den steilen Eiskanal hinunter. Die Erschütterungen und Fliehkräfte seien so stark gewesen, dass sie noch tagelang ordentlich Nackenschmerzen spürte, erzählt sie.

Das war er also, der Versuch, die lange Leistungssport-Karriere noch einmal neu zu beleben und in eine ganz andere Richtung zu lenken. Doch es war zu spät. Der Gedanke, mit dem Leistungssport aufzuhören, war schon zu lange in ihrem Kopf. Nach der deutschen Hallenmeisterschaft in Dortmund, bei der sie die Endläufe über 60 und 200 Meter verpasst hatte, wurde aus dem Gedanken ein Entschluss: noch diese Sommersaison, dann keine Sprint-Wettkämpfe mehr. Und auch kein Wechsel zum Bob. Das hätte sie früher versuchen sollen, vielleicht mit Anfang 20, sagt die Werder-Leichtathletin, die im April 30 Jahre alt geworden ist. Aber ob sie mit Anfang 20 mutig und motiviert genug gewesen wäre, sich in einen Bob zu setzen, sei fraglich. Und jetzt mit 30, inzwischen schon längst berufstätig an der Uni, noch mal eine ernsthafte Bobkarriere starten? Ein Projekt, das dann nicht nur über eine, sondern gleich mehrere Wintersaisons gehen würde? Nein, dazu würde ihr die nötige Energie fehlen, sagt Sandra Dinkeldein.

Leistungssport erfordert eine Menge Energie. Sie habe das mit der Sprinterei, mit zumeist sechsmal Training pro Woche, schon primär für sich gemacht. Weil sie das wollte, weil sie ihre Zeiten verbessern, ihr Limit erfahren wollte. „Hört sich jetzt blöd an“, sagt sie, „aber ich habe das nicht gemacht, um unbedingt an die deutsche Spitze zu kommen.“ Was nicht zu verwechseln wäre mit dem hohen Anspruch, den sie an sich selbst stellte, mit dem hohen Aufwand, den sie betrieb. Sie sei die Sache mit hohem Ehrgeiz angegangen. Ihr Trainer Andrei Fabrizius kann das definitiv bestätigen.

Sie hätte praktisch das halbe Leben und den ganzen Alltag um den Sport herumgebaut, sagt sie. Urlaub, Schlaf, Essen – alles von Training und Wettkämpfen beeinflusst. Selbst der Menstruationszyklus verläuft bei Leistungssportlerinnen immer auch mit dem Seitenblick auf die Anforderungen des Sportkalenders. Und je größer der Raum wird, den der Sport einnimmt, desto größer wird vermutlich die Ungewissheit, wie man ohne ihn klarkommt. Sandra Dinkeldein sagt, dass es ihr gut gehe, das sagt sie bestimmt auch nicht nur so dahin. Aber sie räumt ein, dass die Entscheidung noch immer nicht so richtig bei ihr angekommen sei. Und wie es ihr gehen wird, wenn sie in der nächsten Saison nur auf der Tribüne statt im Startblock sitzt, wisse sie auch nicht. „Mit dem Sport“, sagt sie, „hatte ich einen Ort, an den ich jeden Tag hingegangen bin, meine Leute getroffen habe.“

Sandra Dinkeldein ist ein Beispiel für all jene ambitionierten Athleten, die fast, aber nicht ganz bis an die Spitze gekommen sind – und für die der Absprung vom Wettkampfkarussell oft eine Mischung aus Erschütterung und Erleichterung darstellt. Sie sind einerseits froh, den Leistungsdruck oder die Enttäuschungen nach unbefriedigenden Ergebnissen los zu sein. Andererseits fragt irgendwann irgendwas im Hinterkopf, warum es nie noch ein bisschen höher, schneller oder weiter gegangen ist. Dinkeldein hält die Bremer Landesrekorde über 100 Meter (11,58 Sekunden) und 200 Meter (23,63 Sekunden). Sie stand ein paarmal im Finale der deutschen Meisterschaften, aber eben nie ganz weit vorn. Ihre beste Platzierung in der Weltrangliste war Rang 135.

2019 war das, als sie diese Bestzeiten schaffte. Und als sie sich vornahm, in den Saisons danach die Zeiten noch etwas nach unten zu drücken. Sie könne noch schneller sein, habe sie gespürt, aber sie habe sich selbst zu viel Druck gemacht, sich selbst im Weg gestanden. Auch Gespräche mit Freunden, der Familie, dem Trainer, einer Sportpsychologin hätten daran nicht viel ändern können. „Mit den Jahren wurde es zunehmend verkopfter“, sagt sie. So sei es immer schwieriger geworden, mit dem nötigen Selbstbewusstsein an den Start zu gehen. Wer in der Sekundensache Sprint nicht auf den Punkt die Balance zwischen mentaler wie muskulöser Lockerheit und Anspannung findet, wird nie so schnell im Ziel sein, wie er wollte. Sandra Dinkeldein erzählt, sie habe zu oft feststellen müssen, dass wieder mal der Kopf nicht mitgespielt habe, sie mental verkrampft und in der Konsequenz technisch zu unsauber gerannt sei.

Dass die Jagd nach Bestzeiten nun beendet ist, solle jedoch keineswegs bedeuten, dass sie der Leichtathletik, ihrem Sport, den Rücken zukehrt. Nein, sagt sie, jetzt komplett aufzuhören, „das wäre schlimm“. Jetzt also nur noch zum Spaß und nur zwei- statt sechsmal pro Woche zur Werder-Halle? „Nein“, sagt sie noch mal, „eher so drei- bis viermal.“ So viel Sport muss dann doch sein, wenn schon das Wettkampf-Adrenalin wegfällt.

 

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