Philipp Kass - Landung im Leben

5,50 Meter waren gut, aber nicht gut genug – Stabhochspringer Philip Kass hat aufgehört

Philipp Kass bei einem seiner letzten Sprünge im Werder Trikot auf Platz 11
Leichtathletik
Samstag, 12.02.2022 / 11:06 Uhr

Olaf Dorow (Weser Kurier vom 02.02.2022, Sport, Seite 23)

Nun ja, sagt Philip Kass, er sei halt kein Bundesliga-Fußballer. Er müsse halt schauen, wie er seine Miete und alles andere zahlen kann. Es soll nicht neidisch klingen, aber das ist halt der Unterschied, wenn man in seinem Sport zwar Spitze, aber nicht absolute Spitze ist.

Philip Kass, 23 Jahre alt, ist Leichtathlet. Er ist in der vergangenen Saison 5,50 Meter gesprungen, nur drei deutsche Stabhochspringer waren noch höher gekommen. Übertragen auf den Fußball hätte das für einen ordentlich dotierten Vertrag gereicht. In der Leichtathletik ist man damit ein Wackelkandidat für eine weitere Förderung, deren finanzielle Flankierung, zumindest durch die Profifußball-Brille betrachtet, höchst bescheiden ausfällt. Philip Kass, 2015 Bremens Sportler des Jahres, hat aufgehört mit dem Leistungssport.

Der Leistungssport war sein Leben zuletzt. Der ganze Tagesrhythmus, die Ernährung, alles sei darauf abgestimmt gewesen. Sechsmal die Woche Training, manchmal noch häufiger. Er habe dann einfach auf sein Herz gehört. So sagt es Philip Kass, und sein Herz habe ihm quasi eingestanden: Dieses sinnbildliche innere Feuer, das jeder Leistungssportler braucht, um in seinem Metier voranzukommen, lodert nicht mehr. Es sei im vergangenen Jahr bereits nach der Hallensaison losgegangen, erzählt Kass. Die sei so lala gewesen. Bei den deutschen Hallenmeisterschaften sprang er in Dortmund 5,32 Meter. Torben Blech, sein Trainingskollege bei Bayer Leverkusen, sprang 40 Zentimeter höher. Sein Freund Bo Kanda Lita-Baehre, ebenfalls aus Leverkusen, sprang 30 Zentimeter höher.

Philip Kass war 2019 nach Leverkusen gewechselt. In Bremen, in der Trainingsgruppe seines Vaters beim SV Werder, war er mit Abstand der Beste. In Leverkusen, in der Gruppe von Bundestrainerin Christine Adams, war er einer von vielen, da waren quasi Deutschlands Superspringer versammelt. Er wollte das so, er wollte höher hinaus. Er war im Perspektivkader des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), er überlegte, in Köln Sport zu studieren. Doch nach dieser Hallensaison, die wegen der Pandemie ohnehin schon keine schillernde war, stellte er sich Fragen. Sagen wir mal: grundsätzliche Fragen. Was will ich eigentlich erreichen? Was ist meine Perspektive? Wie passt das zur täglichen Trainingsquälerei? Und vor allem: Wie passt das zu den Enttäuschungen, wenn die Latte halt wieder zu früh heruntergefallen war im Wettkampf?

Den Fragen folgte ein verheißungsvoller Einstieg in die Sommersaison. Der Mai war noch nicht vorbei, da hatte er mit den 5,50 Metern beim Rehlinger Pfingstsportfest eine neue Höhe geknackt. Als der Sommer vorbei war, war keine weitere Höhe in diesem Bereich hinzugekommen. Die Sommersaison war wie das Sommerwetter. Nicht so doll. Die Grundsatzfragen waren wieder da, der innerer Antrieb stockte. Um die DLV-Förderung weiter zu erhalten, hätte er 5,60 Meter springen müssen, sagt Kass. Vielleicht hätte er die Förderung trotzdem bekommen, vielleicht aber auch nicht.

Er nahm dem Verband die Entscheidung ab. Er hörte auf. „Diese innere Unzufriedenheit andauernd, die wollte ich nicht länger haben“, sagt er, „man ist ja doch immer selbst sein größter Kritiker.“ Er habe gemerkt,
dass er nicht mehr diese 100 Prozent geben konnte in seinem Sport. Mit weniger als 100 Prozent wird das selten was im Spitzensport. Philip Kass, der im Winter wegen seiner Sportziele  überlegt hatte, noch mal für einen sportlichen Neuanfang zurückzukehren nach Bremen, kehrte im Sommer nach Bremen zurück, weil er die Sportziele aufgegeben hatte. Er suchte sich einen Job. Der Höhenflieger landete im sogenannten normalen Leben.

Das mit dem Sportstudium hatte er nicht so ins Laufen gebraucht. Jetzt sitze er in der Rezeption der Bremer Corona-Ambulanz der Kassenärztlichen Vereinigung, erzählt er. Von Bremen solle es aber mittelfristig wieder nach Nordrhein-Westfalen gehen. Seine Freundin studiere in Köln. Und er sei bei der Frage, was er eigentlich wolle im Leben, auch bei der Idee gelandet, Polizist zu werden. „Vielleicht gehe ich vorher auch noch zum Bund und mache ein Jahr Wehrdienst“, sagt er.

Ein weitgehend sportfreies neues Leben des Philip Kass braucht man sich aber nicht vorzustellen. Sein Blick zurück sei auch kein gramvoller. „Ich bin voll zufrieden, wie ich aufgehört habe“, sagt er. Immerhin mit einer Bestleistung, die sich sehen lassen kann. Stabhochsprung ist eine der anspruchsvollsten Disziplinen der Leichtathletik. Und ein kleiner Stabhochsprung-Plan geistert auch noch in seinem Kopf herum. „Theoretisch“, sagt er, „könnte ich ja im Frühjahr auf Platz 11 beim Jump-off noch mal mitspringen, für Werder.“

 

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