Sie hatte einen Tumor, der einen Blinddarm-Durchbruch verursachte. Sie musste dreimal operiert werden. Doch Carolin Kirtzel vom SV Werder beendet das Jahr mit beeindruckenden Renn-Ergebnissen.
Sie hatte einen Tumor, der einen Blinddarm-Durchbruch verursachte. Sie musste dreimal operiert werden. Doch Carolin Kirtzel vom SV Werder beendet das Jahr mit beeindruckenden Renn-Ergebnissen.
97 Läuferinnen waren gestartet, sie kam als 21. ins Ziel. Man könnte sagen, das sei nun nicht so ein dolles Ding, auch wenn es sich immerhin um die Deutschen Crossmeisterschaften handelt und schon lange keine Bremer Langstreckenläuferin gut genug war, um bei nationalen Titelkämpfen gut mitzuhalten. Doch hinter diesem Rang 21, den die 26 Jahre alte Carolin Kirtzel vom SV Werder jetzt in Sonsbeck in einer Zeit von 24:01 Minuten für die 6,1 Kilometer lange Strecke erreicht hat, steht etwas, das man sehr wohl als sehr dolles Ding bezeichnen darf.
Ende April lag sie im Krankenhaus von Pinneberg. Schon wieder. Bei der dritten OP in diesem Frühjahr wurde der halbe Dickdarm entfernt. Sie hatte Krebs, einen neuroendokrinen Tumor. Vereinfacht geschildert, hatte man den entdeckt, als sie wegen eines Blinddarm-Durchbruchs operiert wurde. Der Durchbruch wiederum war letztlich eine Folge des langsam wachsenden Krebsgeschwürs, das lange unentdeckt blieb. Als sie zum ersten Mal in Bremen wegen starker Schmerzen im Bauchraum beim Arzt vorstellig wurde, sei ein harmloser Magen-Darm-Infekt diagnostiziert worden. So schildert es Carolin Kirtzel.
Sie bauscht das nicht auf, sie erzählt es weder als Drama noch mit gekünsteltem Ach-nicht-der-Rede-wert-Ton. Es ist halt ihre Geschichte des Jahres 2021. Am Anfang stand ein Wechsel zum SV Werder. Aufgewachsen vor den Toren Hamburgs, wurde Bremen deswegen ihr Standort, weil sie hier ein Referendariat angetreten hat, als Mathe- und Physiklehrerin in Blumenthal. Sie schloss sich Werder an, weil sie das wieder haben wollte: schnelle Zeiten auf der Bahn. Als Jugendliche war sie schnell genug, um sich für internationale Meisterschaften oder Ländervergleiche zu qualifizieren. Reihenweise Verletzungen ließen sie aussteigen aus dem Wettkampf-Modus, aber sie war dann doch noch nicht fertig mit dem Leistungssport: Sie wollte 2021 wieder eine Sommersaison haben.
Die Sommersaison fiel sowas von aus. Laufen war nur eine Art Reha-Instrument, aber nichts für hartes Training. Ein zunächst auch nur sehr kleines, nach den OPs war erst mal nicht mehr als eine Minute Joggen drin. Sie hatte, verglichen mit anderen Krebspatienten, quasi noch Glück; auf eine Chemotherapie konnte verzichtet werden. Aus einer Minute Joggen wurde richtiges Laufen, wurde schnelles Laufen. Der alte Wettkampf-Ehrgeiz kam zurück. Sie meldete für die Zehn-Kilometer-Strecke beim Bremen-Marathon Anfang Oktober. Und kletterte vor dem Rathaus aufs Siegerpodest. Keine Läuferin war schneller als sie.
Beim Cross in Sonsbeck landete sie auf schwerem Boden, weil der tief und matschig war, im ersten Drittel des Feldes. Obwohl sie die Bahn oder glatten Asphalt bevorzugt, obwohl sie wegen der Krebsgeschichte noch kein Krafttraining zur Stärkung der Bauch- und Rumpfmuskulatur machen durfte. In Sonsbeck war Alina Reh vom SSC Berlin die Siegerin, aber die Lehrerin aus Blumenthal war irgendwie auch eine Siegerin. 2022 will sie jetzt das nachholen, was 2021 nicht ging: eine Sommersaison, und zwar eine ambitionierte. Wenn Ende Juni im Berliner Olympiastadion der Startschuss zum 5000-Meter-Finale der Deutschen Meisterschaften ertönt, dann will Carolin Kirtzel vom SV Werder an der Linie stehen. "Ja", sagt sie, und es klingt wie die Vorfreude aufs nahende Weihnachtsfest, "das wär' was."