Der Werder-Sprinter Noah Olabisi hat das Zeug zum deutschen Jugend-Meister, er gilt als großes Talent. Bislang musste er bei deutschen Meisterschaften eine Final-Panne nach der anderen hinnehmen.
Der Werder-Sprinter Noah Olabisi hat das Zeug zum deutschen Jugend-Meister, er gilt als großes Talent. Bislang musste er bei deutschen Meisterschaften eine Final-Panne nach der anderen hinnehmen.
Er ist schon immer gerne gegen andere um die Wette gerannt. Kein Wunder, er habe ja auch meistens gewonnen, erzählt er. Irgendwann, so etwa mit 15, hat Noah Olabisi auch das mit dem Fußball gelassen, er wurde Leichtathlet beim SV Werder. Und musste erfahren, dass das zwei verschiedene Dinge sind: Schneller rennen können als die Brüder, Freunde oder der (Leichtathletik-affine) Onkel – oder ein Leistungssportler sein, der sich fokussiert auf den Tag X, das Rennen X vorbereitet und in einem Meisterschaftsfinale im Duell mit anderen Leistungssportlern bestehen muss. „Das ist ein Lernprozess“, sagt sein Trainer Andrei Fabrizius. Wie gut und wie schnell Noah Olabisi in seiner noch jungen Karriere gelernt hat, lässt sich an diesem Wochenende prima überprüfen.
An diesem Wochenende trifft sich Deutschlands Leichtathletik-Nachwuchs in Heilbronn zur deutschen Jugendmeisterschaft. In der U 18 führt Noah Olabisi, der in wenigen Wochen selbst 18 wird, sowohl über 100 als auch über 200 Meter die Bestenliste des DLV an. Über 100 Meter klar, mit 10,62 Sekunden, über 200 Meter knapp und zeitgleich mit einem Konkurrenten, der ebenfalls 21,95 Sekunden geschafft hat. Die Statistik sagt: Olabisi ist Favorit. Die Realität weiß: Statistik und Wettkampfverlauf vertragen sich oft nicht. Zur Statistik sagt Noah Olabisi: „Ja, da gucke ich schon regelmäßig drauf.“ Warum auch nicht, ein solcher Bestenlistenplatz dürfte wohl mehr beflügeln als verunsichern. Zum Wettkampfgeschehen sagt er: „Ich versuche da, auf dem Boden zu bleiben.“ Bloß nicht zu viel Druck, bloß nicht überheblich werden. Haltung: stark sein, ohne sich drauf zu verlassen, der Stärkste zu sein.
Um diese Haltung zu erlangen, spricht er viel mit dem Trainer, sagt sein Trainer. Für diese Haltung hat auch das geholfen, was bisher geschah, sozusagen. Die nationalen Meisterschaften, die Noah Olabisi in seiner noch jungen Sportkarriere bislang bestritt, waren ein wildes Gemisch aus Pleiten, Pech und Pannen. In der U 16 wäre vor zwei Jahren rein leistungsmäßig schon das Finale drin gewesen. In seinem Vorlauf, in dem sich nur der Erste direkt für den Endlauf qualifizieren konnte, wurde er nur vom späteren deutschen Meister geschlagen. Weil aber 3,8 Meter pro Sekunde Gegenwind herrschten, gehörte er nicht zu den weiteren Zeitschnellsten. Alle anderen Vorläufe hatten Rückenwind.
Ein Jahr später, nun schon im ersten Jahr U 18, verpasste der Junge im Werder-Trikot erneut das Finale. Auf die Tausendstelsekunde lag er gleichauf mit dem Vorlauf-Achten, laut Regelwerk musste das Los entscheiden. Das Los entschied gegen ihn. In der Hallensaison 2020, in der sich gemeinsam mit der U 20 gemessen wurde, folgte schließlich im dritten Anlauf die Finalteilnahme über 60 Meter. Schnell war sie wieder vorbei. Er produzierte einen Fehlstart und wurde disqualifiziert.
„Solche Fehler passieren nicht einfach so“, sagt Andrei Fabrizius. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals einen Fehlstart machen werde“, sagt Noah Olabisi. Er zocke nicht beim Start, er warte. Trotzdem sei es passiert, und jetzt wisse er, was alles passieren könne. Intensiv hätten sie die Sache ausgewertet, sagen beide. Auch wenn sie für sich behalten wollen, was bei der Fehlersuche herausgekommen ist. Der Athlet bejaht die Frage, ob er ein reflektierter Athlet sei. Einer, der darüber nachdenkt, was er da tut. Der Trainer erzählt, wie viele Talente er schon hat straucheln sehen und wie vorsichtig man bei der Bewertung von Talenten und ihrer Entwicklung sein sollte. Ums Schwelgen kommt er dennoch nicht herum. „Was Leistung, Performance, Coolness betrifft, ist das bei Noah schon eher wie bei einem 20-Jährigen“, sagt Fabrizius.
Der noch 17-Jährige erzählt, dass er durch seinen älteren Bruder Joshua zum Wechsel von der Fußball- in die Leichtathletik-Abteilung des SV Werder animiert worden sei. Und weil er eben zumeist schneller rennen konnte als der stabhochspringende Bruder, wurde es gleich die Trainingsgruppe Sprint. Sport scheint ein Hauptwort zu sein in der Familie. Vier Jungs, viermal Sport. Die beiden älteren sind Leichtathleten. Der eine Jüngere spiele Fußball, berichtet Bruder Noah. Der andere sei gut im Volleyball. Und könne auch gut flitzen; wer weiß, ob er nicht auch noch ein Sprinter wird. Die Mutter jedenfalls schaut laut Sprinthoffnung Noah Olabisi mit Stolz auf ihre vier sportlichen Jungs. Der stolze Blick sei dann die Entschädigung für so manche Tagesmühe, sage sie immer. Ihr Alltag dürfte in der Tat gut gefüllt sein. Alleinerziehende Mutter, vier Jungs. Mutter Olabisi sei einst aus Ghana nach Deutschland gekommen, in Bremen habe sie den späteren Vater der Jungs kennengelernt, einen Nigerianer. Inzwischen würden die Eltern getrennt leben.
Mutter Olabisi kann nun auf einen jungen Mann blicken, der bereits Verantwortung übernehmen will. Der auf der Bekenntnisschule in Habenhausen sein Abi schaffen will, Leistungskurs Englisch und Religion, und der schon weiß, was er mal werden will. Englischlehrer, sagt Noah Olabisi. Grund? Könne er halt ganz gut, wahrscheinlich wegen der vielen amerikanischen Serien, die er schon geguckt habe. Gern geguckt habe.
Die großen Leichtathletik-Events mit Supersprinter Usain Bolt habe er auch sehr gern geguckt. Dass er mal einer wie Bolt wird, weiß niemand. Es wäre auch viel zu weit ausgeholt, wollte man darüber Vermutungen anstellen. Aber dass auf dem Weg zu einem erfolgreichen Leichtathleten jetzt ein mittelgroßer Schritt gemacht werden kann, darf man schon behaupten. Einen Schritt, der es im Übrigen in sich hat. Wenn am Sonnabend die kraftraubende 200-Meter-Strecke ansteht, liegen zwischen Vor- und Endlauf gerade mal 90 Minuten. Hat Noah Olabisi noch nie so gehabt. Wieder eine neue Erfahrung.
Neben Sprinter Noah Olabisi sind noch zwei andere Werder-Leichtathleten qualifiziert, wenn an diesem Wochenende in Heilbronn die deutschen Meisterschaften in der U 18 und U 20 ausgetragen werden. Die Hürdensprinterin Zoe Gercken will in der U 20 versuchen, den Endlauf zu erreichen. Sie ist mit der zehntbesten Zeit ihrer Altersklasse gemeldet. Mehrkämpferin Wiebke Oelgardt ist im Weitsprung, im Hürdensprint sowie im Speerwurf der U 20 dabei. Medaillenkandidat Olabisi geht am Sonnabend über 200, am Sonntag über 100 Meter an den Start.