Wer liesst denn noch heutzutage?

Dieses Thema im Forum "Off Topic" wurde erstellt von Schmolle, 24. Juni 2008.

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  1. Jarvis

    Jarvis Guest


    Eine Übersetzung ist immer eine Interpretation, da kannst du nichts dran ändern, es sei denn du setzt dich während des Übersetzungsprozesses deines Textes direkt daneben und sagst demjenigen wie was gemacht werden muss, und zwar 24/7. Da wird dich aber jeder aus dem Raum schmeißen über kurz oder lang. Und in der Realität passiert das auch höchstens in den seltensten Fällen. Klar will man als Literaturautor, dass so nahe wie möglich übersetzt wird, möglichst der Stil äquivalent und die Handlung haargenau gleich ist. Das geht aber häufig nicht. Ich erinnere da an Dialekte, Worte, die es in der anderen Sprache nicht gibt, oder je nach Kultur gewisse Teile der Handlung nicht einfach übernommen werden können. Als Übersetzer reicht es eben nicht, wenn man die Sprache der anderen beherrscht, man muss auch u.a. ein Gefühl für Kultur- und Sprachunterschiede haben.
    Die beste Übersetzung kommt ohnehin nur dann zustande, wenn der Übersetzer mit dem Autor im ständigen Kontakt steht, damit Handlungsfehler erst gar nicht passieren und damit eben so gut wie möglich übersetzt werden kann. Da muss man interpretieren und das tut man ohnehin automatisch. Wie gesagt, ist jede Übersetzung eine Interpretation, genauso wie jede Verfilmung eine Interpretation ist. Das fängt schon mit den Übersetzungen der Bibel an. Du hast das Wort "Tag" ganz am Anfang: "Gott schuf die Welt in 7 Tagen." Dabei hast du im Hebräischen nicht zwangsweise das Wort "Tag", denn das Hebräische Wort für Tag kann genauso gut "eine unbestimmte Zeiteinheit" heißen. Wir alle sind von Interpretationen umgeben. Als Geschichtsstudent wird man z.b. angehalten, originale Quellen auf Latein zu lesen, damit man nicht durch eine womögliche falsche Interpretation in einer Übersetzung auf die falsche Fährte geführt wird. Wenn man also Eragon auf deutsch liest, ist das tatsächlich so, dass man eben auch die Interpretation des Übersetzungstexts erhält. Das wirkt sich natürlich mal deutlich, mal weniger deutlich aus, aber sie ist so gut wie immer vorhanden.
     
  2. @Jarvis

    So, wie du gerade dein Wirken als Übersetzer beschrieben hast, gibt es ja für Autoren auch wenig auszusetzen. Das ist aber auch etwas anderes als der hier formulierte Anspruch:

    Aus der Warte des Autors halte ich dir hier entgegen, dass das eindeutig nicht dein Auftrag ist. In den Text hineinreden, um die Qualität zu verbessern, dürfen der Lektor und eventuell noch der Agent, aber der Übersetzer hat in der Regel doch ein in sich abgeschlossenes Werk vor sich, das in der vorliegenden Form veröffentlicht wurde. Wenn du da mit der Überzeugung herantrittst, dass du das noch besser machen musst, dann hat das - nicht böse gemeint - etwas von einem Kellner an sich, der auf dem Weg zum Gast das Essen noch nachwürzt...
     
  3. Jarvis

    Jarvis Guest

    Das mag ja alles sein, aber in der Regel ist es der Anspruch des Übersetzers. Klar, in der Literatur ist dabei vieles anders. Wenn man sich jetzt auf andere Texte bezieht, seien es Sachtexte, fachliche Texte, Betriebsanleitungen oder ähnliches, muss der Übersetzer diesen Anspruch haben.

    Ich muss mich dabei aber wohl etwas klarer ausdrücken. Ich meine natürlich nicht, dass der Übersetzer jetzt hingeht und einen Stil, eine Handlung etc. abändert, der bereits mindestens ordentlich ist. Damit ist also nicht gemeint, dass man jetzt neue Charaktere einfügt, oder die Spannung erhöht oder ähnliches. (Obwohl es durchaus schon oft vorgekommen ist, dass die Handlungen in Übersetzungen drastisch geändert wurden.)
    Ich rede hier von Fehlern im Text, seien sie grammatikalischer oder inhaltlicher Art. Da muss der Übersetzer hinterher sein und das meinte ich mit "besser". :) Darauf wollte ich eigentlich hinaus mit meinem Satz, den ich zugegebenermaßen etwas kurz gefasst habe, ohne groß zu erklären, was ich damit meine.
     
  4. Jetzt habe ich dich verstanden, und darauf kann ich mich ohne weiteres einlassen. :bier:
     
  5. la_mariposa

    la_mariposa

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    Noe, aber evtl kann ich ja mal irgendwo leihweise reingucken, das wuerde mich dann doch interessieren. :)

    @Jarvis: Das es nicht moeglich ist literarische Werke 1:1 zu uebersetzen ist mir durchaus klar, und dass eine Uebersetzung immer eine Interpretation sein muss, weiss ich auch, dazu hatte ich sogar letztes Jahr noch einen Artikel geschrieben - und meine Argumentation war sogar pro Uebersetzungen. Ganz einfach, weil ich eben viele Sprachen nicht beherrsche und eine sinnvolle "Interpretation" ja vielleicht auch nicht das Schlechteste ist.
    Trotzdem sollte die Uebersetzung eben immer so nahe wie moeglich Original sein, und davon war in deiner ersten Aussage eben nichts zu spueren. Es redet ja auch keine davon, dass die Handlung veraendert werden soll, aber der Stil sollte meiner Meinung so naturgetreu wie moeglich sein. Deshalb ist Herr der Ringe Uebersetzung von Carroux gelungen und die von Krege nicht. Wenn ich Carroux lese habe ich dasselbe Gefuehl wie beim Original. Und das sollte eben die Aufgabe des Uebersetzers sein - so nahe wie moeglich am Original, und wenn das nicht geht, dann sollte zumindest das Gefuehl beim Lesen erhalten bleiben. Das ist sicherlich schwer und Uebersetzen ist ein nicht zu unterschaetzendes Handwerk.

    Wir haben an der Uni Ibsen durchgenommen und mein Lieblingsstueck war "A doll's house" (Nora oder ein Puppenheim). Ich hab das Stueck natuerlich in der Version gelesen, die uns genannt wurde (Oxford World Classics) und kannte das Stueck nachher halbwegs auswendig, weil ich mich so intensiv damit befasst hatte. Dann habe ich mal die letzte Szene in einer deutschen Uebersetzung gelesen (die richtige letzte Szene, nicht das deutsche Ende ;)) und es kam mir vor als wuerde ich stellenweise ein anderes Stueck lesen. Ich kann natuerlich nicht sagen, welche Uebersetzung besser ist, sie wirkten aber auf mich sehr unterschiedlich. Seitdem frage ich mich halt was "echter" ist, aber ich werde es wohl nie erfahren...


    Das klang aber anders, vor allem in dem Kontext, weil ich ja von einem konkreten Beispiel (Eragon) sprach und es sind da ja weder sprachliche noch logische Ungereimtheiten, die ich kritisiere, sondern einfach der Stil und der Eindruck, den das Buch beim Lesen auf mich machte. Prinzipiell macht Paolini ja nichts falsch, es gefiel mir halt nur nicht so. Son wiem du das jetzt formulierst, habe ich natuerlich nichts dagegen :)

    Was ich zum Beispiel nicht verstehe ist die hinzugefuegte Zeile im 3. Teil von Harry Potter, und zwar bekommt Harry am Anfang des Buches wie immer die Liste mit den Materialien, die er fuer das naechste Schuljahr kaufen muss. In der deutschen Uebersetzung wurde unter diesen Brief ein PS drunter gesetzt in dem McGonagall Harry alles Gute zum Geburtstag wuenscht, im englischen Original ist das aber nicht da. Ich frage mich schon seit Jahren, wieso dem so ist. Es mag eine Kleinigkeit sein, aber es veraendert meiner Meinung nach durchaus ein bisschen das Bild, das man als Leser von der Hogwarts Schulleitung bekommt. Und es erscheint mir einfach sinnlos das zu aendern.
     
  6. @la_mariposa
    Das kannst du natürlich machen! :D
     
  7. Jarvis

    Jarvis Guest

    zu Theaterstücken: Da ist es häufig so, dass manche Dinge in der Übersetzung geändert werden, um sie für das deutsche Publikum schmackhafter zu machen. Gerade in Theaterstücken ist das so, da diese aber aufgeführt werden und sich die Regisseure manchmal auch nicht so treu an die Vorlage halten, ist das in dem Falle auch okay. Ich kenne Übersetzungen von Dramen, wo ganze Szenen fehlen, wo der Übersetzer Charaktere fallen lässt, weil es im Deutschen vom Kulturellen einfach nicht gepasst hat.

    zu H.P.: Genau da sehe ich dann das Problem, genau wie du. Wir sind von Interpretationen umgeben. In der Übersetzung kommt ein PS dazu, in den Filmen teils dämliche Szenen (wie bspl. wo die Schüler für den Ball tanzen lernen. Total bescheuert). In der Regel hält der Übersetzer aber Absprache mit dem Autor oder wenigstens dem Verlag und eigenmächtig Handlungsstränge im Roman hinzufügen, ist doch sehr grenzwertig.

    Des Weiteren darf man bei meinen Aussagen (besonders meiner ersten) nicht vergessen, dass ich mich nicht zwangsweise auf Literaturübersetzungen bezogen habe (wo ohnehin nicht das große Geld zu machen ist), sondern dass diese allgemein auf die Arbeit von Übersetzern (die ja doch überall verwendet wird) gerichtet waren. Klar sollte ein Roman so nah wie möglich am Original übersetzt werden, aber es gibt noch eine hohe Anzahl anderer Textarten, wo das nicht sinnvoll ist, was kulturelle und sprachliche Gründe haben kann.
     
  8. la_mariposa

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    Naja, aber wir lesen die ja und gucken die nicht. Ich muss zugeben, dass ich oft vergesse, dass das ja eigentlich Theaterstuecke sind, die aufgefuehrt werden sollen. Das "Deutsche Ende" in A doll's house hat ja aber nichts mit der Uebersetzung zu tun, sondern mit der kulturellen Komponente die du ja auch nennst. Das Problem war, dass die deutsche Gesellschaft damals noch nicht so weit war, eine Frau zu sehen, die ihren Mann und ihre Kinder verlaesst. Ibsen hat das alternative Ende aber gehasst.


    Ja, aber Interpretationen von Regisseuren, sei es nun Theater und Film, sind nicht mit Uebersetzungen gleichzustellen. Wenn etwas auf ein anderes Medium uebertragen wird, ist es ganz klar, dass vieles veraendert werden muss. Grundsaettzlich gucke ich so Filme wie Harry Potter deswegen auch nicht, kann man ja umgehen. Uebersetzungen kann ich eben oft nicht umgehen, wenn ich russische Literatur lesen will, dann muss ich halt auf deutsch oder englisch zurueckgreifen. Deshalb sollte das eben originalgetreu sein.
    Ich muss zugeben, dass mir Theaterstuecke in Schrift auch oft besser gefallen als auf der Buehne.

    Ja, aber auch z.B. akademische Texte sollten nicht gross veraendert werden ;) Ich uebersetze im Moment im Praktikum auch viel, und da fallen mir auch einige Probleme auf. Im Prinzip sind das keine anspruchsvollen Texte, irgendwelcher akademischer Kram halt. Aber alleine schon das deutsche, 3-gliedrige Schulszstem macht mir ganz schoen zu schaffen :lol:
     
  9. Jarvis

    Jarvis Guest

    Das liegt aber auch immer am Zielpublikum und am Zweck des akademischen Texts. Kommt halt immer auf den Kontext an. Aber das führt jetzt zu weit. Über den Sinn und Unsinn von der Nähe der Übersetzung zum Original sind schon haufenweise Bücher auf dem Markt.
     
  10. Ich glaube man muß bedenken, daß Übersetzungsarbeit Auftragsarbeit ist, wo man ne Vorgabe abarbeitet. Das wenn das "Lektorat versagte" oder der Schreiber/Wissenschaftler krud gearbeitet hat (eher selten aber passiert) die Übersetzung was "gerade biegt" ist wohl eher selten.

    Den "Fall Eragon" würde ich zum Beispiel nicht nur auf die Schreibe Paolinis oder einem überragend guten Übersetzer_in zurückführen, sondern auch auf die Klangfarbe der Sprache. Das Englische eigenet sich ungemein fürs lyrische und für "flüssige Erzählungen". Paolini schreibt aber eher nüchtern, kühl, beinahe distanziert (seine Charaktere haben durchweg gute wie schlechte Seiten). Für diese Art von Prosa, in der kühl und distanziert ein Erzähler seinen Charakteren und dem Plot gegenübersteht, ist das Deutsche ungemein gut geignet. Bitte nur als Idee wahrnehmen.
     
  11. Lese Bücher über europäische Frühgeschichte/Bronzezeit gerade mal wieder. Interessant - zumindest für mich!
     
  12. la_mariposa

    la_mariposa

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    Ich kann wie gesagt nicht vergleichen, aber im Englisch schreibt Paolini in erster Linie auch unglaublich kitschig und das muesste eigentlich zumindest in der Theorie auf englisch besser klingen. Ich finde kitschige und ausgemalte/blumige Formulierung stehen der englischen Sprache oft besser als der Deutschen. Und gerade das macht es so schlimm, wenn's auf Englisch schon kitschig klingt, dann dan liegt wirklich was im Argen. ;)
     
  13. Jarvis

    Jarvis Guest

    Was soll ich im Urlaub lesen? Zur Auswahl stehen:

    Tolkien - The Lord Of The Rings II - The Two Towers
    Thomas Harris - Red Dragon
    Stephen King - The Shining
    Louisa May Alcott - Little Women
     
  14. Die ersten drei sind allesamt keine schlechte Wahl, das vierte kenne ich nicht.
     
  15. Jarvis

    Jarvis Guest

    Passt auch am wenigsten zum Rest. Little Women ist ein alter Klassiker aus dem 19. Jahrhundert, aber ziemlich lesbar geschrieben. Als Kind habe ich ja gerne diese ganzen japanischen Zeichentrickserien gesehen. Darunter waren auch die vom World Masterpiece Theater, die Literaturvorlagen für ihre Animes verwendet haben. Das ganze hat mit Heidi angefangen. Das Buch habe ich letztens schon gelesen und fand es gut. Nach Peter Pan wollte ich mir jetzt halt Little Women und den Nachfolger Little Boys reinziehen.
     
  16. Die in Japan gezeichneten Serien kenne ich auch, aber mein Favorit war die hier: Klick!
     
  17. Little Women find ich ein wunderbares Buch und würde das definitiv empfehlen, obwohl ich auch finde, dass Roter Drache gerade für den Urlaub klasse ist :D
     
  18. @jarvis
    die ersten drei.

    @la mariposa
    Kitschig fand ich das gar nicht mal - es war stammeliger Stil, möglicherweise klang dann deswegen auch die ein oder andere Redewendung "aufgesetzt/kitschig".
    Es gibt halt Autoren die arbeiten mit "your servant!" und "your grace!" total souverän und andere holperdistolpern damit durch ganze Bücher.
     
  19. Hab "dazwischen" mal ein Neon Buch (aber nicht unnützes Wissen, sondern 200 tipps in allen Lebenslagen (oder so ähnlich) ) eingeschoben und "griechify your Life". Ganz amüsant bisweilen. Zwei Tipps daraus konnte ich sogar für mich adaptieren.

    Das Buch über "die Religion der Germanen" setzt einiges voraus. Da ich mich seit dem 20. Lebensjahr mit diesem Volk beschäftige (natürlich nur unwissentschaftlich) und auch schon wissentschaftliche Werke darüber gelesen habe (die Werke von Schwartz, Mannhart und Grimm liesst man ja auch als Autodidakt irgendwann, weil sich ALLE irgendwann darauf beziehen) wäre ich ansonsten mit diesem Buch aufgeschmissen.
    Philologie, Germanistik und archäologische Erkenntnisse setzt der Mann (Verfasser) voraus. Selten anspruchvolleres gelesen. Der Verfasser ist Religionswissenschaftler.

    Da könnt ihr mal sehen, mit was ich für Zeugs meine Freizeit vergeude! :D
     
  20. Ein Purist hielte dir jetzt vermutlich entgegen, dass deine Beschäftigung nicht sonderlich in die Tiefe gegangen sein kann, wenn du sie für ein Volk hältst - und die verschiedenen Stämme hätten dir wahrscheinlich auch handfest klar gemacht, was sie davon halten, miteinander in einen Topf geworfen zu werden... ;)