Für die Stabilisierung der nationalsozialistischen Diktatur unter sich radikalisierenden Rahmenbedingungen habe der Sport eine wichtige Funktion erfüllt, unterstreicht der Sporthistoriker Markwart Herzog. Anders als in manchen NSDAP-Kreisen gefordert, wurde aber der als „bürgerlich“ angesehene Fußball nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ im März 1933 nicht vollständig militarisiert und zum Beispiel in die SA eingegliedert.
Der entscheidende Grund dafür dürften die anstehenden Olympischen Spiele von 1936 in Berlin gewesen sein. Das nationalsozialistische Deutschland wollte sich der Weltöffentlichkeit als friedlicher Staat präsentieren. Dies wurde als eine Notwendigkeit betrachtet, da die USA und weitere westliche Staaten über Boykotte diskutierten, was ein Debakel für die Propaganda der NS-Regierung gewesen wäre. So hatten die verbliebenen Sportvereine und Verbände in den ersten Jahren nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler deutlich größere Handlungsspielräume als dies in anderen Bereichen der Gesellschaft der Fall gewesen ist. Doch vor allem die „Führer“ der Verbände nutzten diese Freiräume nicht, um vielleicht die eigene Selbstbestimmung zu retten, sondern um aktiv ihre eigenen nationalsozialistischen Vorstellungen in ihren Verbänden zu etablieren und sich selbst parteitreu zu zeigen.
Der Sport-Verein „Werder“ hatte bis 1933 in seiner Satzung festgehalten, dass seine Mitglieder politisch nicht tätig sein durften. Dies sollte sich nun aber ändern. Schnellstmöglich machten sich die Grün-Weißen daran, den Verein nach nationalsozialistischem Vorbild umzubauen. Bereits ab dem 14. Mai 1933 wurde der „1. Vorsitzende“ Bernhard Stake nun als „Vereinsführer“ bezeichnet. Das Protokoll der entsprechenden Generalversammlung endet mit: „Die Versammlung schloss mit einem mit großer Begeisterung aufgenommenen dreifachen ‚Sieg Heil‘ auf unseren Volkskanzler Adolf Hitler und unser deutsches Vaterland.“ Im Oktober 1933 wurde auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung (MV) die Vereinsstruktur radikal angepasst. Der „Vereinsführer“ musste nun zwar weiterhin von der MV gewählt werden, von da an konnte er aber frei seinen Mitarbeiterkreis bestimmen. Die Zustimmung der Hauptversammlung war nun nicht mehr nötig. Willy Stöver, der dieses Amt nun innehatte, kündigte an, seine neuen Rechte „gegebenenfalls rücksichtlos gebrauchen“ zu wollen und „Querulanten und Stänker“ mit „eiserner Energie […] für immer verschwinden zu lassen.“ Bereits im April 1933 hatte sich Stöver in den Vereinsnachrichten begeistert von der nationalsozialistischen Idee gezeigt. Der SV „Werder“ hätte „seit seiner Gründung stets den nationalen Gedanken vertreten und nicht erst nach der Umwälzung sein nationales Herz entdeckt.“
Tatsächlich gibt es in den Vereinsnachrichten immer wieder Aussagen, die darauf hindeuten, dass bereits vor 1933 ein starkes nationalsozialistisches Bewusstsein unter den Mitgliedern der Grün-Weißen herrschte. So schrieb auch Hermann Schlengemann, der eines der ersten Mitglieder im Fußball-Verein „Werder“ war, in den Vereinsnachrichten vom September 1937: „Wir sprechen heute noch viel vom alten ‚Werdergeist‘. Dieser Geist [...] ist immer Geist im besten nationalsozialistischen Sinne gewesen, und ich freue mich, feststellen zu können, dass es jeder Vereinsleiter verstanden hat, diesen Geist von einer Spielergeneration auf die andere zu übertragen.“
Die Umstellung auf das „Führerprinzip“ veranlassten die Mitglieder des Vereins schon lange bevor sie dazu verpflichtet wurden. Die Nähe des Vereins zur nationalsozialistischen Ideologie wird auch an der Position des „Dietwarts“, den der SV „Werder“ bereits im August 1936 einführte, deutlich, obwohl die Nationalsozialisten ihn er erst ein gutes Jahr später vorschrieben. Mit Walter von Wienczkowski und Hans Korengel erfüllten nacheinander zwei Personen dieses Amt, die bereits viele Jahre im Verein aktiv waren und sogar in der Ligamannschaft der Grün-Weißen gespielt hatten. Hans Korengel sagte in den Vereinsnachrichten, er wolle als „Dietwart“ erreichen, dass alle Vereinsmitglieder „deutsch denken, deutsch fühlen und deutsch handeln“. Er selbst sah sich als das „völkische und nationalsozialistische Gewissen“ des Sport-Vereins. Regelmäßig wurden nun „Kameradschafts- und Dietabende“ veranstaltet, zu denen verschiedene Referenten eingeladen wurden, die den Mitgliedern die nationalsozialistische Ideologie näherbringen sollten. Am 30. März 1938 gab es beispielsweise einen Vortrag des bremischen NSDAP-Mitglieds Fritz Kellermeier mit dem Titel „Die Rassenfrage ist der Schlüssel zur Weltgeschichte“.
Doch auch nach außen zeigte man sich nun gerne im Dienste des nationalsozialistischen Gedankens. Am 30. März 1934 spielte der SV „Werder“ gegen die Sportfreunde 05 Saarbrücken. Ein Spiel, das auch für die NSDAP von großem Interesse war. Es konnte hervorragend für die „Saargebiet-Propaganda“ genutzt werden, bei der es darum ging, das bis dato politisch dem Völkerbund unterstellte Saargebiet wieder dem Deutschen Reich anzugliedern. Das Spiel wurde mit einer Kundgebung im Schauspielhaus verbunden, die von Willy Stöver als „Vereinsführer“ der Grün-Weißen veranlasst wurde. Neben verschieden Liedern, die hier teilweise von der „Hitlerjugend“ vorgetragen wurden, hielt Stöver selbst eine Rede, bevor der regierende Bürgermeister sprach. Gesungen wurden unter anderem das „Deutschland-Lied“ sowie das „Horst-Wessel“- und das „Saar-Lied“. Der SV „Werder“ trat hier also bewusst als Veranstalter einer nationalsozialistischen Propagandaaktion auf und nutzte dabei sein Ansehen, um Hitlers Saar-Kampagne zu unterstützen. In den Vereinsnachrichten aus dem August 1934 wird berichtet, man könne stolz behaupten, „zu unserem kleinen Teil dazu beigetragen zu haben, dass unsere deutschen Volksgenossen an der Saar wieder frei von Fremdherrschaft sind.“
Generell wurden mit den Vereinsaktivitäten nun nicht mehr rein sportliche Ziele verfolgt. Der Wehrsportgedanke rückte seit 1933 ebenfalls stark in den Vordergrund. Ein Gedanke, den laut Stöver der SV „Werder“ gar als allererstes offen aufgenommen hatte. Es ging nun nicht mehr um die reine sportliche Betätigung, sondern um eine Form der militärischen Vorausbildung. Der erste „Vereinsführer“ Bernhard Stake kündigte bereits im Mai 1933 an, die jungen männlichen Personen im Verein zu „wehrtüchtigen deutschen Männern“ formen zu wollen. Seit Oktober des gleichen Jahres wurde auch der „Volkssport“ für Erwachsene beim SV „Werder“ wieder angeboten, der auf lange Sicht den gleichen Zweck erfüllen sollte. Die „Bremer Kampfbahn“, wie das „Weser-Stadion“ im „dritten Reich“ hieß, wurde bereits seit 1932 für Wahlkampfveranstaltungen der Nationalsozialisten genutzt. Immer wieder gab es hier Aufmärsche und Massenveranstaltungen der NSDAP.
Sportlich errang der SV „Werder“ in der Zeit des Nationalsozialismus erste überregionale Erfolge, was natürlich auch den Nationalsozialisten imponierte. Gerne zeigte man sich mit der erfolgreichen Gauligamannschaft des Vereins. Auch im Ausland sollte durch den Sport Werbung für den Nationalsozialismus gemacht werden. Im Juni 1938 fuhr die Liga-Elf nach Dänemark, um dort verschiedene Spiele zu bestreiten. Dabei wurde jedes Spiel mit dem „Deutschen Gruß“ begonnen. Der SV „Werder“ profitierte aus sportlicher Sicht später sogar im Vergleich zu anderen Vereinen vom Zweiten Weltkrieg. Auf der „Bremer Kampfbahn“ wurden bald drei Flak-Stellungen installiert, die der Luftabwehr dienen sollten. Abbi Drewes, der damals für die „technische Leitung des gesamten Sportbetriebs“ verantwortlich war, konnte so zusammen mit der Luftwaffe bekannte Fußballer bei den Flak-Stellungen stationieren lassen, die dann gleichzeitig der „Gauligamannschaft“ zur Verfügung standen.
Doch auch außerhalb des Fußballs konnte der SV „Werder“ erstmals überregionale Erfolge erzielen. Im Bereich der Leichtathletik verbesserten sich die Grün-Weißen stetig. Schnell gehörten sie auch hier zur nationalen Spitze. Dies lag jedoch hauptsächlich daran, dass im Sommer 1937 die komplette Leichtathletik-Abteilung des „Stadion-Sport-Club“ zum SV „Werder“ wechselte. Initiiert wurde dieser Wechsel von Ernst Köwing, der als Kreisleiter des nationalsozialistischen „Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen“ ein großes Interesse hatte, in seinem Kreis einen Sportverein der Extraklasse zu schaffen. Damit legte er in diesem Bereich bei den Grün-Weißen auch die Grundlage für den sportlichen Erfolg in der Zeit nach 1945.
Der Sportbetrieb wurde auch aufrechterhalten, nachdem Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Selbst nachdem Goebbels 1943 den „totalen Krieg“ ausgerufen hatte, wurde der Fußball für „kriegswichtig“ erklärt. Der „Gauleiter“ bekräftigte, dass sich die „sportgestählten Körper“ an der „Front“ bewährt hätten. Doch der Sportbetrieb erfüllte auch eine andere Funktion: Gerade in den Gebieten, die stark durch die Alliierten bombardiert wurden, wurden nun Veranstaltungen ausgetragen. Der Sport sollte die Bevölkerung von den Leiden und dem Grauen des Krieges ablenken. Sie sollten die Kraft behalten den „totalen Krieg“ durchzustehen. Bis in den März 1945 wurde weiterhin Fußballspiele ausgetragen.
Bereits 1933 wurde im „Völkischen Beobachter“ der Ausschluss von „Nichtariern“ aus den Sportvereinen gefordert. Dennoch war dies nicht verpflichtend, bis 1940 der „Arierparagraf“ in die Einheitssatzung des „Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen“ aufgenommen wurde. Der SV „Werder“ fragte spätestens seit 1939 nach der „Abstammung“ in Aufnahmeanträgen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß vorher Personen ausgeschlossen wurden, die nicht in die nationalsozialistische Ideologie und deren Konstruktion von Rassen passten. Es sind jedoch mehrere Fälle bekannt, bei denen dies angenommen werden muss.
Werders 12-jährigem Jugendspieler Leo Weinstein beispielsweise wurde Anfang 1934 von seinem Trainer „mit sichtlichem Bedauern“ mitgeteilt, dass „Juden nicht mehr Mitglieder beim SV Werder sein durften“, dokumentierte Inge Marßolek. Leo und sein Bruder Rudolf konnten 1938 dank eines polnischen Auslandsvisums über Antwerpen in die USA ausreisen. Ihr Vater Hermann jedoch geriet Ende jenes Jahres in Gestapo-Gefangenschaft und kam 1941 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Weinstein als Offizier der US Army eingesetzt worden war, erlangte er eine Professur für französische Literatur an der renommierten kalifornischen Stanford University. Dort hat er für die Uni-Fußballmannschaft gespielt, die er Anfang der 1950er-Jahre sogar trainierte. Darüber hinaus arbeitete er als Fußballjournalist, berichtete unter anderem für die Tageszeitung San Francisco Examiner von mehreren Weltmeisterschaften. Leo Weinstein starb am 4. Mai 2009 im Alter von 87 Jahren.
Harald Klingebiel spürte in Archiven biografische Spuren der Familie Rosenthal um Vater Albert und dessen drei Söhne Arthur, Herbert und Hermann auf. Albert war unter anderem bereits 1906 beim FV „Werder“ und fungierte eine Zeit lang als 2. Schriftführer des Vereins. Er wurde 81-jährig im November 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Sein ältester Sohn Arthur war gegen Ende des Ersten Weltkrieges als Obmann des „Werbe- und Presseauschusses“ in den Werder-Vorstand gewählt worden. Arthur Rosenthal gehörte zu den Grün-Weißen, die in dieser schwierigen Zeit den ehemaligen Fußball-Verein „Werder“ zu einem modernen Sportverein mit neuen Abteilungen und vielen neuen Mitgliedern machten.
Wie auch Vater Albert und die beiden jüngeren Brüder Herbert und Hermann wurde Arthur Rosenthal im Zuge des Novemberpogroms 1938 erstmals verhaftet. An jenem 9. November brannten landesweit Synagogen, jüdische Geschäfte, Einrichtungen und Wohnungen wurden verwüstet und zerstört. Mehrere hunderte jüdische Personen wurden ermordet. Gut drei Jahre später deportierte man Arthur Rosenthal in das Ghetto der heutigen belarussischen Hauptstadt Minsk, wo er ermordet wurde.
Die zwei jüngeren Rosenthals, Herbert und Hermann, konnten rechtzeitig emigrieren. Herbert, in den 1920er-Jahren bei Werder unter anderem Beisitzer der Jugendabteilung und Mitglied der Tennisabteilung, überlebte das „Dritte Reich“ in Ecuador, wohin er Ende April 1940 flüchtete. Der 1904 geborene Hermann kam als 13-jähriger Jugendfußballer zum Fußball-Verein „Werder“. Dreieinhalb Monate vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen gelang ihm die Ausreise in die USA.
Alfred Ries, in den 1920er-Jahren gelegentlich Hermann Rosenthals Mitspieler in Werders „Liga-Reserve“, trat dem Verein 1909 bei. Noch wichtiger war der 1897 in Bremen geborene Ries außerhalb des Fußballplatzes in der Gremienarbeit der Grün-Weißen sowie unter anderem beim DFB. Bereits im jungen Alter von Mitte 20 wählten ihn die Mitglieder 1923 erstmals zum 1. Vorsitzenden des SVW, 1925 leitete er die Fußballabteilung, 1926/27 und 1929/30 stand der gesellschaftlich engagierte Kaufmann und Direktor der Bremer Böttcherstraße erneut an Werders Klubspitze.
Nach immer offenkundigeren antisemitischen Anfeindungen insbesondere in örtlichen NS-Publikationen verließ Alfred Ries nur wenige Wochen vor Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler Bremen. Am 7. Januar 1933 hatte er sich offiziell vom SV „Werder“ verabschiedet, wo er von Verein und Verbänden für seine Verdienste um den Sport unter anderem mit der goldenen DFB-Ehrennadel ausgezeichnet worden war.
Über Zwischenstationen in München und Marienbad verschlug es ihn im Januar 1934 nach Zagreb. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurde er in Südosteuropa wiederholt verhaftet, zudem ausgebürgert, aber er überlebte – anders als seine 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt umgebrachten Eltern Rosa und Eduard – und kehrte über Umwege im Herbst 1946 nach Bremen zurück.
Noch zwei weitere Male wurde der alsbald im diplomatischen Dienst der jungen Bundesrepublik tätige Alfred Ries Vorsitzender des SV Werder Bremen. Zunächst von 1947 bis 1951 sowie von 1963 bis zu seinem Tod 1967. Unter ihm als Präsident gewann Werder 1965 den ersten deutschen Meistertitel der Vereinsgeschichte. Nicht zuletzt deshalb machten sich einige Werder-Fans im Rahmen einer Fanprojekt-Initiative anlässlich Ries’ 50. Todestag um sein Andenken verdient. Seit 2018 trägt die Promenade an der Westseite des heutigen wohninvest WESERSTADIONs den Namen „Alfred-Ries-Platz“.
Fazit dieser Epoche in Werders Vereinsgeschichte ist, dass der Verein nachweislich schneller und ehrgeiziger als viele andere in seinem Bemühen war, sich den neuen Verhältnissen im nationalsozialistischen Deutschland anzupassen. Die großen sportlichen Erfolge am Ende der 30er-Jahre und in der Zeit des Zweiten Weltkrieges hatten politische und unmittelbar militärische Gründe: Weil die politische Prominenz es wollte, kamen erfolgreiche Leichtathleten zu Werder, und die besten Fußballer bei Werder waren in Bremen, weil sie dort als Soldaten stationiert waren.
So war der SV „Werder“ ein eifriger Bestandteil des NS-Sportes und entsprechend groß die Probleme nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Es brauchte einige Versuche und mehrere neue Namen, bis der SV „Werder“ Bremen unter seinem traditionsreichen Namen wieder auflaufen durfte. Viele Protagonist:innen dieser Zeit waren auch nach der vermeintlichen „Stunde Null“ im Jahr 1945 im Verein aktiv. Dies ist genauso Teil der Geschichte des Vereins, wie die späteren Triumphe und Erfolge. Es gilt auch diesen Abschnitt der grün-weißen Historie zu erinnern und sich der daraus resultierenden Verantwortung zu stellen und diese anzunehmen.
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