Ein Nachruf zum Tod von Claus Dieter (C.D.) Meyer.
Ein Nachruf zum Tod von Claus Dieter (C.D.) Meyer.
Am 6. März 2020 erhielt ich am Morgen vom Mannschaftsführer von Werder 5, Andreas Burblies, eine sehr traurige Nachricht. Er informierte mich darüber, dass unser viele Jahre hauptamtlich tätiger Trainer der Werder-Schachabteilung, FM Claus Dieter Meyer, am Tag zuvor auf der Palliativ-Station eines Bremer Krankenhauses verstorben ist. Ich war – ebenso wie Andreas, der mit Claus Dieter sehr eng freundschaftlich verbunden war und ihn in den letzten Tagen seines Lebens intensiv begleitetet hatte - zutiefst geschockt über diese Nachricht. Obwohl – angesichts seiner schweren Krebserkrankung – sich sein Tod in den Monaten und Wochen zuvor leider schon abgezeichnet hatte.
Jetzt, wo ich etwa eine Woche nach seinem Tod diese Zeilen schreibe, kommt es mir immer noch irgendwie völlig irreal vor, dass ich Claus Dieter - von allen nur C. D. genannt – nie wieder bei einem Vereinsabend sehen werde, nie wieder bei einem seiner regelmäßigen Wochend-Seminare bei Werder live verfolgen darf und auch nie wieder neue Partie-Analysen von ihm nachspielen und bewundern kann.
Ich persönlich lernte C. D. intensiver im Jahr 1994 kennen. Es war das Jahr, in dem ich Mitglied der Schachabteilung von Werder Bremen wurde. Bis zu dem Zeitpunkt – obwohl ich schon 24 Jahre alt war – hatte ich noch nie Schachtraining gehabt. Ich hatte mir selbst Schach anhand von Büchern und den damaligen Schach-Computern beigebracht. Ich war daher fasziniert von C. D.s systematischem Schach-Training bei Werder und war daher regelmäßiger Teilnehmer seiner Trainingsabende bei Werder. C. D. war somit mein erster „richtiger“ Schachtrainer. Und – da ich kurze Zeit später meine schachliche Funktionärs-Laufbahn startete und kaum noch selbst Schach spielte – bis zum heutigen Tag auch mein einziger Trainer.
1994 war – was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so richtig wusste – C. D. schon eine schachliche Berühmtheit in Bremen und in ganz Norddeutschland.
C. D. wurde am 1. August 1946 in Bremen geboren und war ein typisches Kind der Nachkriegszeit. Er erlernte somit einen „ordentlichen“ Beruf als Versicherungs-Kaufmann und arbeitete eine Zeitlang auch als Assekuranz-Makler. 1967 siedelte C. D. für ein Jahr nach Kanada (Montreal) über, wo er in der Versicherungsbranche arbeitete. Wieder zurück in Bremen, setzte er zunächst seine Arbeit in der Versicherungsbranche fort. C. D. wurde Assekuranz-Makler bei der Bremer Versicherungsbörse, Abteilung Schiffstransportversicherungen. Außerdem wurde er in der Zeit auch stolzer Vater zweier Töchter: Michaela und Christina.
Versicherungen waren somit sein erster Broterwerb. Seine wahre Liebe galt aber wohl schon sehr früh dem Schachspiel und er galt als großes Schachtalent in Bremen.
1966 wurde C. D. – im damals für Schachspieler sehr jungem Alter von 20 Jahren – Weser-Ems-Meister. 1970 und 1973 errang er die Meisterschaft des Bezirks Bremen-Stadt und wurde 1983 – zusammen mit Manfred Hermann – Meister des Landesschachbundes Bremen. Seine ersten schachlichen Schritte auf dem Schachbrett tat C. D. noch für die 1948 gegründete Schachabteilung von Werder Bremen. Werder war damals aber – auch wenn man sich das heute kaum vorstellen kann - von den sportlichen Leistungen nicht der stärkste Verein in Bremen und umzu. Oder – um es genauer zu sagen – im bis zum 31.12.1978 existierenden „Schachverband Weser-Ems“, zu dem seinerzeit Bremen und das Bremer Umland ebenso gehörten wie Vereine aus Oldenburg, Emden, Leer, Cloppenburg, Brake oder auch Wilhelmshaven.
Einer der leistungsstärksten Vereine dieses Verbands Weser-Ems war seinerzeit zum Beispiel der Delmenhorster SK, der damals in den 1970er Jahren zu den führenden Schach-Mannschaften Norddeutschlands gehörte. Daher war es völlig klar, dass Delmenhorst mit zu den Gründungsmitgliedern der 1974/75 gegründeten viergleisigen Bundesliga (Regionen Nord, West, Südwest und Süd) gehörte. Ab 1975 spielte der sportlich ehrgeizige C. D. daher in der damals noch vierteiligen Bundesliga für Delmenhorst.
C. D. war somit Spieler in dem Team von Delmenhorst, das sich als Nordmeister 1975, 1976, 1977 und 1978 für die jeweiligen Bundesliga-Finalrunden qualifizierte. 1976 und 1977 wurde Delmenhorst in dieser Endrunde jeweils Dritter. Der Delmenhorster Schachklub gehörte mit diesen starken sportlichen Leistungen natürlich auch zu den Gründungsmitgliedern der einteiligen ersten Schach-Bundesliga. Diese wurde 1980 geschaffen, indem sich die besten 16 Mannschaften über eine Zwischenstufe, der vierteiligen Bundesliga, qualifizieren konnten. C. D. war bis zur Spielzeit 1982/83 Spieler des Bundesliga-Teams vom Delmenhorster SK. Dann wechselte er zum Bundesliga-Konkurrenten Solinger SG 1868. Bis zur Saison 1985/86 gehörte C. D. zum Solinger Bundesliga-Team, mit dem er dreimal hintereinander Deutscher Vizemeister wurde.
Ab 1986 spielte C. D. dann wieder für Werder Bremen, den Verein, dem er dann bis zu seinem Lebensende treu blieb. Seine letzte Turnier-Partie für Werder spielte er übrigens am 20. Januar 2019 für Werder 5 in der Bremer Stadtliga gegen die SG FinWest 2. Ein Sieg am Spitzenbrett gegen Harry Baumann.
Nach dem Aufstieg von Werder Bremen in die Schachbundesliga in der Spielzeit 1994/95 war C. D. auch aktiver Spieler im Bundesliga-Kader von Werder bis zu der Saison 2001/02.
1982 war C. D. Teilnehmer der Deutschen Einzelmeisterschaften in Bad Neuenahr, bei der er mit 5,5 Punkten aus 11 Partien Vierzehnter von 24 Teilnehmern wurde. 1983 bekam er den Titel des FIDE-Meisters verliehen.
Den Spielstil von C. D. sollen ein paar Partien aus den letzten Jahrzehnten illustrieren.
Partie Nummer eins ist eine Partie aus der ersten Werder-Bundesliga-Saison 1994/95, bei der C. D. den starken Großmeister Burkhard Malich in der Bundesliga bezwingen konnte. Malich gewann 1957 und 1973 die Einzelmeisterschaften der DDR und wurde zudem noch sechsmal Vize-Meister. Mit dem Nationalteam der DDR nahm Malich zwischen 1958 und 1972 an acht Schacholympiaden für die DDR teil.
Die kurzen Anmerkungen zu der Partie kommen von mir selbst und wären aus Sicht von C. D. wahrscheinlich völlig unzureichend … .
Die zweite Partie stammt aus der Bundesliga-Saison 1999/2000 und wurde ausführlich von dem internationalen Meister Alexander Bangiev kommentiert.
Die dritte Partie spielte C. D. gegen den starken kroatischen Großmeister Hrvoje Stevic (Elo 2600), in der er sich nach einer fast 6 Stunden langen Partie über ein ausgekämpftes Remis freuen konnte. Erstaunlicherweise wurde diese Partie im November 2016 gegen einen seiner wahrscheinlichen stärksten Gegner von der Elo-Zahl her in einer Turnierpartie in der Bremer Stadtliga gespielt und ist somit in den „normalen“ Schach-Datenbanken nicht enthalten. Die Kommentare zu dieser Partie stammen von C. D. selbst.
Eine schachlich sehr starke Leistung von ihm war zweifelsohne auch sein Sieg 1980 in der Bundesliga gegen Vlastimil Hort, zu dem Zeitpunkt einer der weltbesten Großmeister, den C. D. mit guter Endspieltechnik bezwingen konnte. Da Hort 1980 zu der erweiterten Weltspitze gehörte, war dieser exzellent heraus gespielte Sieg von C. D. mit einer seiner größten sportlichen Erfolge in seiner Karriere. Auch diese Partie findet sich – unkommentiert – in der zum Nachruf gehörenden Partien-Datenbank.
Doch sein Wirken als aktiver Turnierspieler war im Nachhinein betrachtet nur eine ganz kleine Facette seines aktiven Schachlebens. Richtig bekannt wurde er deutschlandweit als Analytiker, Autor und Schachtrainer. Einen kleinen Überblick über die Vielzahl von C. D.s Publikationen fand sich in seinem Nachruf bei ChessBase. Dort war die folgende Aufstellung seiner ganzen Werke zu finden:
„Claus Dieter Meyer bearbeitete als Autor unter anderem die Jahrbücher zur Schach-Bundesliga von 1980 bis 1984 (1984 zusammen mit Johannes Eising und Gerd Treppner), veröffentlichte die Bücher "Im Spiegel der Analyse" (1987), "Die Jahrhundert-Meisterschaft im Schach" (2001, zusammen mit Robert Hübner und anderen), und zusammen mit Karsten Müller das Lehrbuch "The Magic of Chess Tactics (2002)".
Zusammen mit Karsten Müller veröffentlichte er auch bei ChessBase eine Fritztrainer-DVD: "Magic of Chess Tactics - revised and enlarged" (2009). Es folgte eine weitere DVD "Magic of Chess Tactics 2".
Claus Dieter Meyer hat zudem einige Bücher vom Englischen ins Deutsche übersetzt und bearbeitet: Kotovs Think / Play Like a Grandmaster, Nunns Tactical Chess Endings sowie The Najdorf for the Tournament Player.“
Nach Ansicht einiger Schachfreunde werden viele dieser Arbeiten auch in Zukunft Standardwerke bleiben. Gerade mit dem Werk „Magie der Schachtaktik“ hat C. D. zusammen mit Dr. Karsten Müller ein Meisterwerk der Schach-Analyse geschaffen, an dem sich meines Erachtens auch zukünftige Autoren messen lassen müssen.
In dieser imposanten und eindrucksvollen Aufzählung von C. D.s literarischem Schaffen nicht enthalten sind seine vielen Artikel für das Werder-Schach-Magazin – dessen Chefredakteur er bis zu seinem Ruhestand 2012 war – sowie seine schier unzähligen Analysen für die Werder-Homepage, die Werder-Trainings-Seminare und die alltäglichen Trainingsabende bei Werder.
C. D.s Herangehensweise an die Analyse einer Schach-Stellung war schonungslos objektiv und sehr tiefgründig. Er glaubte – ähnlich wie der große deutsche Schachmeister und Schachtheoretiker Siegbert Tarrasch (geboren am 5. März 1862 in Breslau; gestorben am 17. Februar 1934 in München) - dass es in beinahe jeder Stellung einen absolut „besten Zug“ gebe, den es zu finden gelte. Dieses Credo – das bis zu einem gewissen Grad auch C. D.s Credo war – beschrieb Tarrasch in seinem berühmten Lehrbuch „Das Schachspiel“ wie folgt:
„Jede Stellung muß man als ein Problem betrachten, bei dem es gilt, den richtigen Zug, den die Stellung erfordert und der fast immer ein einziger ist, zu finden. Nebenlösungen gibt es so gut wie gar nicht in der Schachpartie, mit Ausnahme der ersten Eröffnungszüge, wo die Wahl freisteht. Häufig, besonders wenn der eine Spieler bereits stark im Vorteil ist, sieht es so aus, als ob ihm mehrere gleich gute Züge zur Verfügung ständen. Bei näherer Untersuchung aber stellt es sich meist heraus, daß ein Zug der stärkste, der allerstärkste ist, und nur der ist der richtige. Ist der Vorteil noch nicht so groß, dann zeigt es sich meist, daß, wenn mehrere Züge in Betracht kommen, nicht nur der eine der stärkste, sondern daß die andern sogar nachteilig ausfallen, und nichts ist im Schach schwieriger, als von mehreren gleich gut erscheinenden Zügen den besten, den einzig richtigen herauszufinden.“ Quelle: Tarrasch, Das Schachspiel, S. 306.
Wenn C. D. von einer Stellung gepackt war – und er interessierte sich für sehr viele Stellungen – versuchte er eine Position bis zum Ende durch zu analysieren, um die abschließende schachliche Lösung in einer Stellung zu finden. Anders aber als Tarrasch, der oftmals sehr dogmatisch an die Analyse einer Stellung heran ging, ging C. D. immer sehr offen an die Untersuchung einer Position. Er lehnte nichts von vornherein ab und nahm daher auch die Zugvorschläge schwächerer Spieler immer sehr ernst. Wenn sein Analysepartner ebenfalls sehr hohes schachliches Niveau hatte, ergaben sich durch die undogmatische Sichtweise von C. D. auch im Alltag kleine Perlen der Schachanalyse. Immer in Erinnerung bleiben werden mir hier zum Beispiel seine Diskussionen mit dem Großmeister Michael Zeitlein, der in der Saison 1998/99 in der Schachbundesliga für Werder spielte und in dieser Zeit regelmäßig auch die Werder-Trainingsabende besuchte. C. D. und GM Zeitlein versuchten seinerzeit in intensiven Debatten von hohem schachlichem Niveau, den schachlichen Gehalt von Stellungen zu ergründen. Dem „normalen“ Spieler und Trainingsteilnehmer blieb bei diesen Diskussionen oftmals nur ehrfurchtsvolles Staunen übrig angesichts der Qualität dieses schachlichen Diskurses.
Auch der Hamburger Großmeister Dr. Karsten Müller – ein Schüler von C. D. im Hamburger Leistungskader - beschrieb diese intensive Suche von C. D. nach dem besten Zug in seinem Nachruf für C. D. sehr anschaulich:
„Dafür durfte ich dann 1990 im Dezember in Arnheim bei der Jugend-Europameisterschaft spielen und C.D.s Neuerungen nutzen. Leider reichte es trotz guten Starts nicht wirklich und ich spielte gar nicht erst gegen Favorit Wladimir Kramnik. Das faszinierende Läuferendspiel van Wely - Kramnik hat C.D. seitdem nicht losgelassen.
Von den Trainingssitzungen sind mir besonders seine tiefschürfenden Analysen vieler Beispiele des russischen Meistertrainers Mark Dworetzki in Erinnerung geblieben. Alleine das Beispiel Kunneman gegen NN haben wir in der Gruppe ungefähr ein Jahr lang unter die Lupe genommen und dabei am Wegesrand viele faszinierende Endspiele analysiert. C.D. hat alles akribisch in unserem gemeinsamen Buch "The Magic of Chess Tactics", Russell 2002 festgehalten. Wenn er Fragen hatte, dann hat er nie geruht, bevor nicht alles in großer Tiefe ausgeleuchtet war.“
Die beiden angesprochenen Partien - van Wely - Kramnik und Kunneman gegen NN – findet man selbstverständlich, allerdings ohne die umfangreichen Kommentare, in der Partien-Datenbank zu diesem Nachruf. Ebenso wie exemplarisch einige von C. D.s analysierten Materialien aus dem Werder-Training.
C. D. betrachtete auch seine eigenen Partien immer außerordentlich sachlich und objektiv, da er ja immer nach dem besten Zug in einer Stellung suchte. Davon kann man sich auch bei der höchst selbstkritischen Analyse einer seiner Verlustpartien in der Schach-Bundesliga überzeugen.
Doch C. D. war nicht nur der Wissenschaftler und Analytiker, sondern er wollte sein Wissen und seine Begeisterung für das Schachspiel auch der Schachwelt und seinen vielen Schach-Schülern weitergeben.
Von 1989 bis 1998 arbeitete er als Stützpunkt-Trainer in Hamburg. Christian Zickelbein – der Ehrenvorsitzende des Hamburger Schachklubs – würdigte diese Zeit von C. D. in Hamburg in seinem Nachruf auf der Seite des Hamburger Schachklubs wie folgt:
„Als Trainer auch des Hamburger Stützpunktes von 1989 bis 1998 hat CD aber auch den Hamburger Nachwuchs gefördert und mit Erfolg auf Deutschen Meisterschaften betreut. Und in den späten 90er Jahren hat er auf diese Weise bis in das Bundesliga-Team des HSK hineingewirkt. An den freundschaftlichen Beziehungen zu unserem häufigen Bundesliga-Reisepartner hatte auch CD großen Anteil.“
Bis 1998 war C. D. aber auch über viele Jahre als Landestrainer vom Bremer Landesverband (LSB) tätig. Somit prägte und begleitete C. D. die schachliche Entwicklung vieler Spieler in Bremen und Hamburg nachhaltig und vermittelte Ihnen seine Begeisterung und Leidenschaft für das Schachspiel.
Der gebürtige Bremer Oliver Reeh (geboren 1964), der später Internationaler Meister wurde, schrieb zum Beispiel in seinem Kommentar zum Tod von C. D. bei ChessBase:
„Über C.D. bin ich in den 80er Jahren in Bremen zum Leistungsschach gekommen und habe eine Unmenge von ihm gelernt. Sehr viele schöne persönliche Erinnerungen an diese Zeit.. Nochmal vielen Dank für alles!“
Jan Wendt, in den 90er Jahren ein Kaderspieler in Hamburg, der später auch in der Schachbundesliga spielte, schrieb zu C. D.s Tod:
„Ich erinnere mich noch gut an die Ländermeisterschaften und vor allem an die Zeit im Hamburger Kader in den 90ern. Diese Idee sich die Wahrheit einer Schachpartie im Diskurs zu erarbeiten und dann die freudige Bereitschaft (und Haltung) sich ans Brett zu setzen und mit nem Kaffee bewaffnet so lange selbstständig nachzudenken, bis man etwas hatte, was man Analyse nennen konnte. CD hat einfach sehr gutes Handwerk im kritischen Denken vermittelt. Ihr wart ein gutes Team und ich werde die gemeinsam analysierten Hängepartien nie vergessen. Vielen Dank!“
Und auch der frühere Präsident des Deutschen Schachbundes Herbert Bastian reagierte auf den Tod von C. D.:
„Das ist eine Nachricht, die mich sehr betroffen macht. Mit CD war ich seit Jahrzehnten bekannt und freundschaftlich verbunden. Ich werde ihn in der A-Trainer-Weiterbildung, und nicht nur dort, vermissen.“
C. D. war beim LSB übrigens nicht nur als Kadertrainer tätig, sondern war auch im LSB-Vorstand für einige Zeit im Bereich der Ausbildung tätig.
Dank dieses großen Engagements von ihm auf allen Ebenen verwundert es daher nicht, das C. D. vor allem in Bremen und Hamburg, aber auch in ganz Norddeutschland, viele Freunde und Bekannte hatte und überall sehr beliebt war.
Für seine großen Verdienste um das bremische Schach verlieh ihm der Bremer Landesverband 2018 auch die silberne Ehrennadel.
Für Werder war C. D. von 1986 bis zu seinem offiziellen Ruhestand im Juli 2012 als hauptamtlicher (Spieler-)Trainer tätig. Aber auch nach seinem offiziellen „Ruhestand“ war er für Werder in seiner geliebten Fünften mit alten Weggefährten schachlich weiter überaus aktiv. Und auch auf seine Analysen, Trainings-Abende und Seminare musste man bei Werder nicht verzichten.
Seit 1986 war C. D. als lizenzierter A-Trainer aus dem Vereinsleben bei Werder nicht mehr wegzudenken. Und man muss klar sagen, dass es ohne C. D. wahrscheinlich heute gar kein Werder-Bundesliga-Team geben würde. Er brachte überhaupt erst den sportlichen Leistungsgedanken und den entsprechenden Ehrgeiz zu Werder. Wichtige Impulse für einen Verein, der bis Mitte der 80er Jahre nur sehr wenig mit Leistungsschach am Hut hatte. Damit hatte C. D. einen sehr großen Anteil an dem sportlichen Aufstieg der Schachabteilung von Werder Bremen zu einem der leistungsstärksten Schachvereine in Norddeutschland.
C. D. war – im positivsten Sinne dieses Wortes – ein „Schach-Verrückter“, der das Schachspiel liebte. Er wollte daher allen im Verein – vom siebenjährigen Anfänger, über den normalen Vereinsspieler bis zum gestanden Meisterspieler – seine Liebe zum Schachspiel näher bringen.
C. D.s Begeisterung für das Schachspiel konnte auch schon sehr früh der heutige Werder-Top-Großmeister Luke McShane spüren, der 1999 mit 15 Jahren zu Werder kam: Er schrieb zu C. D.s Tod:
"I wanted to say that I was very sad to read that Claus-Dieter has died. I remember his enthusiasm and motivation fondly from my early years with Werder Bremen."
C. D. hat bei Werder in den verschiedensten Rollen mit hoher sozialer Kompetenz und auch viel Humor erfolgreich die Begeisterung für das Schachspiel geweckt und über 30 Jahre am Leben gehalten. Seine Verdienste für den Verein in nahezu allen Bereichen waren riesengroß. C. D. hat auch immer, wenn es nötig war, praktisch mitgeholfen. Ganz egal, ob Bretter aufgebaut werden mussten, Bundesliga-Spieler vom Flughafen abzuholen waren oder auch Abrechnungen gemacht werden mussten. Und er interessierte sich für die Menschen im Verein. Dabei war völlig nachrangig, ob sie gut oder schlecht Schach spielten. C. D. hatte die seltene Gabe, alle im Verein irgendwie mitzunehmen. Er hat damals, beginnend in den 80er Jahren, zusammen mit dem leider auch schon verstorbenen früheren Werder-Abteilungsleiter Hans Wild, das Fundament geschaffen, auf dem wir alle in der Werder-Schachabteilung bis zum heutigen Tage arbeiten.
Auch unser neuer hauptamtlicher Trainer bei Werder, Jonathan Carlstedt, mit dem C. D. glücklicherweise noch ein paar wenige Wochen zusammenarbeiten konnte, konnte schon nach kurzer Zeit die Bedeutung von C. D. für Werder feststellen. Er schrieb:
„CD war, wie ich es an allen Enden und Ecken spüre und in meinen Gesprächen mit ihm verstanden habe, ein zentraler Mensch in der Entwicklung der Schachabteilung (und wie ich finde eine Persönlichkeit die man heutzutage heute so (leider) nicht mehr allzu oft findet).“
Schach war seine DNA, wie es die Familie von C. D. in ihrer Traueranzeige schrieb. Für seine Arbeit bei Werder, mit der C. D. die Grundlage des Vereins in seiner heutigen Form geschaffen hat, werden wir ihm bei Werder für immer dankbar sein. Er betätigte sich im Verein als Spieler, Trainer, Autor, Live-Kommentator vor Ort bei vielen Schach-Bundesliga-Spielen, Ideengeber in Vorstandssitzungen oder auch als Organisator von Schach-Events. Pflicht-Programm für viele Vereins-Mitglieder war zum Beispiel immer seine jährliche Schachreise zum Großmeister-Turnier nach Dortmund, die er bis zum letzten Jahr immer zuverlässig organisierte. Unvergessen unsere alljährlichen Besuche in Dortmund bei unserem Stamm-Italiener vor dem Turnierbesuch und die Erklärungen der Meisterzüge von C. D. auf der Rückreise nach Bremen.
„Leben ist das, was passiert, während Du andere Pläne machst.“
John Lennon (1940 - 1980)
C. D. hatte seit über 20 Jahren auch seinen privaten Ruhepol mit seiner geliebten Frau Angelika gefunden, mit der er viele Interessen teilte. Er war zum Beispiel ein großer Fan des amerikanischen Blues- und Bluesrock-Gitarristen Joe Bonamassa, von dem er Konzerte besuchte und auch seine CDs besaß. Legendär waren wohl auch seine Skat- und Doppelkopfabende bei ihm zu Hause und auch die Treffen der berühmten “Werder-Geflügel-Mafia“, bei denen es immer um ein gemeinsames Essen bestehend aus dem beim Werder-Weihnachts-Blitzturnier gewonnenen Geflügel ging. Und C. D. war auch ein leidenschaftlicher Fan der Werder-Fußballer, die er bis kurz vor seinem Tod immer intensiv im Fernsehen verfolgte. Und auch die eine oder andere größere Urlaubs-Reise – ganz ohne Schach – hat C. D. gemacht.
C. D. hatte noch einige Pläne – ob im Großen, wie im Kleinen. So ließ er sich zum Beispiel noch wenige Wochen vor seinem Tod von Heinz Hinrichs, einem seiner Teamkollegen bei Werder 5, der sich mit Technik gut auskennt, noch extra seinen Computer aufrüsten, damit er dort auf dem aktuellen Stand war. Doch seine schwere und zunächst unerkannt gebliebene Krebserkrankung machte ihm einen Strich durch seine ganzen Überlegungen. Obwohl er durch seine Erkrankung bereits schwer gezeichnet war, zog C. D. seine geplanten Trainings-Termine bei Werder in den letzten Monaten mit bewundernswerter Disziplin durch. Das Schachspiel und seine Begegnungen mit seinen vielen Freunden bei Werder waren hier ohne jeden Zweifel ein großer Halt in seinem Kampf gegen die tückische Krankheit. Sein letztes Schach-Training bei Werder war am Montag, den 10. Februar 2020, in den Werder-Clubräumen. Ich kochte ihm – da an dem Abend die Werder-Clubgastronomie zunächst geschlossen war – seinen geliebten Kaffee, ohne den er quasi nie ein Training oder eine Partie gemacht hat. Kurz vor dem Ende seines Trainings in seiner für ihn sehr wichtigen 60plus-Gruppe sprach ich mit ihm über das wichtige Spiel unserer dritten Werder-Mannschaft vom Vortag in der Landesliga Nord, bei dem unser Team etwas glücklich den bis dato ungeschlagenen Tabellenführer aus Uelzen mit 5:3 schlagen konnte. C. D. hatte dieses Landesliga-Match, das aufgrund des Rückzuges des SV Lingen ausnahmsweise live im Internet zu sehen war, selbstverständlich auch vor seinem heimischen Computer verfolgt. Ich sagte ihm, das meiner Meinung nach dieser Sieg sehr wichtig war für den Kampf um den Aufstieg in der Oberliga. Darauf sagte mir C. D. mit leiser, aber nichtsdestotrotz fester Stimme, sinngemäß in etwa folgendes:
„Das stimmt. Der Sieg von Werder war sehr wichtig, aber auch extrem glücklich. In dem Wettkampf haben die meisten Spieler von Werder aber ganz schlechtes Schach gespielt. Das war wirklich ganz schlecht. Am unglaublichsten für mich war hier die Partie von Olaf Steffens. Der hat gestern einen ziemlichen Murks zusammengespielt. Laut Engine stand Olaf über viele Züge in dieser Partie bei minus 8! Und dann gewinnt der tatsächlich noch die Partie. Unglaublich! Wirklich absolut unglaublich!“
So war C. D.. „Trapperschach“, wie von Olaf immer wieder gerne praktiziert, war einfach nicht der schachliche Ansatz von ihm und widersprach seinem analytischen Denken zutiefst.
Das war mein letztes bewusstes Gespräch mit C. D.. Danach verschlechterte sich sein Gesundheitszustand leider rapide in beängstigender Geschwindigkeit. Ein letztes, von ihm geplantes „Abschieds-Training“ bei ihm zu Hause am 2. März, konnte leider nicht mehr stattfinden. Der Krebs war einfach stärker. C. D. starb am Abend des 5. März 2020 in der Palliativ-Station des Bremer Krankenhauses Links der Weser. Angelika begleitete ihn in seinen letzten Stunden bis zum Schluss und auch Andreas Burblies war bis kurz vor seinem Tod bei ihm. Angesichts seines gesundheitlichen Zustands in den letzten Tagen war der Tod für ihn wahrscheinlich eine Erlösung.
Wir bei Werder haben einen guten Freund und Menschen verloren, der das Vereinsleben in der Abteilung in den letzten Jahrzehnten geprägt hat wie kaum ein anderer. Das ist für uns alle sehr schmerzhaft und wir werden wahrscheinlich viel Zeit brauchen, um diesen Verlust angemessen zu verarbeiten. Zumindest im Augenblick kann ich mir noch nicht so richtig vorstellen, wie ein Vereinsabend bei Werder ohne C. D. aussehen wird. Denn – zumindest für mich persönlich – war er immer da, so lange ich bei Werder Schach spiele.
Was bleibt? C. D. hat vielen Menschen – insbesondere bei Werder - Spaß und Freude am Schach gegeben und sie auch inspiriert, an ihrem Schach zu arbeiten und somit die Magie des Schachspiels zu entdecken. Das wird auf jeden Fall bleiben. Der von mir schon erwähnte Siegbert Tarrasch hatte in der Schach-Öffentlichkeit Deutschlands seinerzeit den Ehren-Titel „Praeceptor Germaniae“ (Lehrmeister Deutschlands). Vielleicht ist der Vergleich etwas zu hoch gegriffen, aber zumindest für mich persönlich war und ist C. D. der schachliche „Lehrmeister der Schachabteilung von Werder Bremen“. Seine hartnäckige analytische Suche nach der Zauberwelt des Schachspiels wird uns hoffentlich auch in der Zukunft leiten. Wir alle in der Schachabteilung werden versuchen, seinem Andenken gerecht zu werden und unsere Arbeit in seinem Sinne auf allen Ebenen fortzuführen.
Mich persönlich tröstet ein wenig der vom aktuellen Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler in seinem Nachruf geäußerte Gedanke, das C. D. jetzt gerade auf Wolke sieben sitzt, um zusammen mit der russischen Trainerlegende Mark Dworezki, Siegbert Tarrasch und Bobby Fischer die Partie van Wely – Kramnik zu analysieren. Auf der Suche nach dem besten Zug und der Klarheit in der Stellung.
C. D., wir als Werderaner zählen auch weiter auf deine schachliche Unterstützung. Ab jetzt von der neunten Reihe. Mach es gut und lebe wohl.
Dr. Oliver Höpfner
Quellen: