„Ein aktiver Teil der Fußballkultur"

Stiftung fördert Buchprojekt – Autoren Monty Ott und Ruben Gerczikow im Interview

Monty Ott & Ruben Gerczikow stehen nebeneinander.
Die Autoren Monty Ott & Ruben Gerczikow sind glühende Fußball-Fans (Foto: Olena Krasnokutska).
WERDER BEWEGT
Dienstag, 17.12.2024 / 11:00 Uhr

Das Interview führte Marcel Kuhnt

Im kommenden Jahr werden wieder zahlreiche Projekte von der SV Werder Bremen Stiftung unterstütz. Eins dieser Projekte ist das Buch von Monty Ott und Ruben Gerczikow, das gerade in der Erarbeitung ist. Darin blicken die Autoren auf die Herausforderungen, denen Jüdinnen*Juden im deutschen Fußball ausgesetzt sind. Im Interview mit WERDER.DE blicken Ott und Gerczikow auf den aktuellen Stand ihres neuen Buches, Solidarität in den Fankurven nach dem 07. Oktober und sprechen über Antisemitismus im Kontext Fußball.

WERDER.DE: Moin Monty, Moin Ruben! Zum Einstieg: Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, euer Buch zu schreiben?

Monty Ott: Das Thema Antisemitismus ist für uns natürlich kein unbekanntes. In unserem ersten Buch ‚Wir lassen uns nicht unterkriegen – junge jüdische Politik in Deutschland‘ haben wir uns ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt und den Versuch unternommen, jungen Jüdinnen*Juden eine Plattform zu geben, um über ihr politisches Engagement zu sprechen. Im neuen Buch wollen wir mit dem gängigen Widerspruch aufräumen, dass Fußballkultur und Jüdischkeit nicht zusammenpassen. Da sowohl ich (Fan von Hannover 96, Anm. d. Red.) als auch Ruben (Fan vom 1. FC Köln, Anm. d. Red.) Fußball-Fans sind, war es für uns naheliegend dieses Thema im Fußball-Kontext aufzugreifen.

Ruben Gerczikow: Wichtig ist zu erwähnen, dass im Jahr 2023 die Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung der Universität Trier ein Fanzine über „Fußball, Judentum, Empowerment und Solidarität“ herausgegeben hat. Das hat unsere Überzeugung für das neue Projekt nochmals gestärkt.

Monty Ott: Darüber hinaus hat das Netzwerk Jüdisches Leben e.V. in Leipzig das Heft ‚Mitten in der Kurve – Jüdische Fan- und Fußballkultur‘ herausgegeben, an dem wir auch beteiligt waren. Somit haben wir erstmals zwei Veröffentlichungen, die sich vor allem auf die Gegenwart konzentrieren. Diese Perspektive wollen wir in unserem neuen Buch vertiefen. Unser Anliegen ist es, uns nicht nur auf Antisemitismus zu beschränken. Wir wollen Jüdinnen*Juden nicht in einer passiven Position darstellen. Wir wollen zeigen, dass Jüdinnen*Juden ein aktiver Teil der Fußballkultur sind und lassen sie selbst zu Wort kommen. Hierbei sei erwähnt, wie in vielen anderen Zusammenhängen, dass diese Menschen sich trotz und nicht wegen des Antisemitismus engagieren.

Es ist wichtig zu zeigen, was sich nach dem 07. Oktober 2023 verändert hat.
Monty Ott

WERDER.DE: Ihr habt von einem scheinbaren Widerspruch zwischen Fan sein und jüdisch sein gesprochen. Wo genau sehr ihr diesen Widerspruch?

Monty Ott: Auf der einen Seite steht die Fußballkultur bzw. die Ultra-Bewegung im Speziellen, die oft als rebellisch und konfliktbereit wahrgenommen wird, was natürlich nur eine oberflächliche Betrachtungsweise ist. Gerade nach dem 07. Oktober 2023 (Überfall der Hamas auf Israel, Anm. d. Red.) zeigte sich an vielen Stellen nochmal ein ganz anderes Bild der aktiven Fanszene. Auf der anderen Seite steht das ‚Jüdisch sein‘, was seit Jahrzehnten als friedfertig, intellektuell und zurückhaltend imaginiert wird. Das sind Stereotype, die weit verbreitet sind. Wir haben für uns hier eine Diskrepanz erkannt, die wir mit unserem Buch auflösen wollen, um zu zeigen, dass Jüdinnen*Juden genauso ein Teil des Sports und der Fankultur sind wie alle anderen auch. Und darüber hinaus, dass es für manche Jüdinnen*Juden sogar besonders attraktiv sein kann, Teil von Fanszenen zu sein. Hier treffen sie auf politisch interessierte junge Menschen, hier können sie der Fremdzuschreibung entkommen.

WERDER.DE: Wie bereits erwähnt, wollt ihr im Buch bewusst neben der aktuellen antisemitismuskritischen und erinnerungskulturellen Arbeit im deutschen Fußball auch jüdische Identitäten auf und neben dem Platz beleuchten. Warum ist es euch wichtig, beides gemeinsam in einem Buch zu behandeln?

Ruben Gerczikow: Man kann über heutige jüdische Gegenwart nur im Kontext des Antisemitismus sprechen. Das sollte man nicht ausschließlich tun, aber leider ist es ohne nicht möglich. Dass Antisemitismus weiterhin ein Teil unserer Gesellschaft ist, hat man nach dem 07. Oktober 2023 vermehrt gesehen – auf und neben dem Platz. Daher wäre es der falsche Ansatz, das Thema komplett auszusparen.

Monty Ott: Es ist wichtig zu zeigen, was sich nach dem 07. Oktober 2023 verändert hat. Wenn wir von Entsolidarisierung sprechen, müssen wir benennen, welche Räume sich für Jüdinnen*Juden allgemein und speziell im Kontext Fußball geschlossen haben. Und welche Räume waren weiterhin da und integrativ sind. Im Fußballstadion gibt es Menschen und Gruppen, die antisemitismuskritisch sind. Für mich war der Stadionbesuch daher auch ein Rückzugsort, eine Chance, um mal 90 Minuten rauszukommen und abzuschalten. In Bremen hat man die starke Solidarität gespürt und das ohne polemisch zu sein oder Empathie zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Man setzte sich für die Geiseln ein – in erster Linie für denjenigen, zu denen eine persönliche Verbindung besteht – und zeigte Mitgefühl für die palästinensische Zivilbevölkerung. Manche Gruppen im Fußball waren da gesellschaftlichen Debatten weit voraus.

Gerczikow: „Hat Verbindung & Identifikation geschaffen“

WERDER.DE: Wie habt Ihr die Positionierung des SV Werder wahrgenommen?

Ruben Gerczikow: Werder Bremen hat innerhalb der letzten Monate durch seine Positionierung sehr viele Menschen für den Fußball begeistert, die vorher mit dem Sport nichts zu tun hatten. Und das betrifft sowohl jüdische als auch nicht-jüdische Menschen. Viele Menschen haben gesehen, dass der Fußball nicht so ist, wie er oftmals dargestellt wird: ein raues Umfeld, mit viel Alkohol oder anderen Vorurteilen. Diese Stereotype wurden teilweise ersetzt durch das gesellschaftspolitische Engagement des Vereins und der Fans sowie der Anerkennung, mit welcher Hingabe immer wieder auf die Freilassung der Geiseln hingewiesen wurde.

WERDER.DE: Bei Werder hauptsächlich Hersh Goldberg-Polin, aber auch Inbar Haiman…

Ruben Gerczikow: Ja. Dieses Verhalten hat Verbindung und Identifikation geschaffen. Hersh war ein Fan wie viele andere auch, der gerne zum Fußball ging und seinen Verein anfeuerte. Durch die Geiselnahme war er fern von Familie, Freund*innen und seinem Leben. Allein auf dieser Ebene hat es vielen Menschen geholfen, sich in die Situation hineinzuversetzen und zu verstehen, worum es eigentlich geht: um ein Menschenleben. Und das ist ausschlaggebend dafür, dass viele Werder-Fans eine tiefe Dankbarkeit aus der jüdischen Community erfahren haben.

WERDER.DE: Euer Buch ist eins von mehreren Projekten, die die SV Werder Bremen Stiftung im Jahr 2025 unterstützt.

Ruben Gerczikow: An der Stelle gilt ein großer Dank an Arne Scholz. Ich habe ihn vor Jahren kennengelernt, woraus sich ein regelmäßiger Austausch entwickelt hat. Für uns war von Beginn an klar, dass wir mit Vereinen und Verbänden ins Gespräch kommen wollen, die sich wirklich gegen Antisemitismus stellen und nicht nur die Standardphrasen nutzen. Durch die Bemühungen des SV Werder in den letzten Monaten, aber auch schon davor, sehen wir im SV Werder einen optimalen Partner. Daher sind wir sehr dankbar, dass der Verein hinter unserem Projekt steht, uns unterstützt und uns jungen Autoren diese Plattform zur Verfügung stellt.

WERDER.DE: Wann werdet ihr euer Buch veröffentlichen?

Monty Ott: Nach den aktuellen Planungen gehen wir von einer Veröffentlichung im Herbst 2025 unter dem Titel ‚Juden auf den Plätzen. Juden auf den Rängen‘ aus. Gerade sammeln wir alles und sind mit unserem Verlag ‚Die Werkstatt‘ im engen Austausch, was die nächsten Schritte angeht.

Viel Erfolg bei der weiteren Arbeit und vielen Dank euch beiden für das Interview!

Über die Autoren:

Monty Ott ist Politik- und Religionswissenschaftler, sowie politischer Schriftsteller. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Ruben Gerczikow verfasster Reportageband ‚Wir lassen uns nicht unterkriegen - junge jüdische Politik in Deutschland‘ im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Für ihren Text „Hat Halle uns verändert? Ein Manifest mutiger, widerständiger Jüdischkeit“ wurden sie beim Schreibwettbewerb L’Chaim der "Initiative Kulturelle Integration" ausgezeichnet. Ruben Gerczikow ist Autor und recherchiert zu antisemitischen Strukturen im digitalen und analogen Raum Zudem war er Fußballer bei Makkabi Deutschland und durchlief alle Jugendteams von Makkabi Frankfurt.

 

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