Die Werder-Fans Anna und Lars sind zwei grün-weiße Anhänger, die von ME/CFS oder dessen Begleiterkrankungen betroffen sind. Im Interview mit WERDER.DE sprechen sie offen über den Einschnitt in ihren Alltag und wie man die Verbindung zum SVW weiterhin hochhalten kann.
WERDER.DE: Moin Anna, Moin Lars! Wie macht sich die Krankheit bei euch bemerkbar?
Anna: Für mich fühlt es sich so an, als würde ich permanent gegen eine einsetzende Narkose ankämpfen. Mein Körper erholt sich nicht mehr richtig und ich habe das Gefühl, dass es keine Entspannung oder Erholung gibt. Zusätzlich habe ich immer ein Gefühl als wäre ich benebelt, das nennt man dann Brain Fog. Dann gibt es Tage, an denen ich wirklich nur im Bett liegen kann, weil gar nichts mehr geht. Bei ME/CFS ist die Breite der Symptomatik so groß, dass es sich für jeden anders anfühlt. Ich kann es am besten so zusammenfassen, dass es sich so anfühlt, als würde man die Kontrolle über seinen Körper verlieren.
Lars: Bei mir ist es so, dass ich seit 2022 an Post-Covid leide aus dem sich zum Glück kein chronisches ME/CFS entwickelt hat. Ich habe aber eine Begleiterkrankung behalten, die auch bei vielen Leuten mit ME/CFS auftritt, das sogenannte „Posturale Orthostatischen Tachykardiesyndrom“ oder kurz „POTS“. Das bedeutet, dass mein Kreislauf nicht richtig funktioniert – wenn ich zu lange stehe, sackt das Blut in die Beine und mein Herz schlägt schneller, um es quasi oben zu halten. Das geht dann einher mit Symptomen wie Brain Fog, Kopfschmerzen und Belastungsintoleranz.
Anna: Ein großes Problem sind auch die sogenannten ‚Crashes‘. Wenn ich mich überlaste, kommt es ein bis zwei Tage später zu einem totalen Zusammenbruch. Dann geht für Stunden, Tage oder sogar Wochen gar nichts mehr.
Lars: Genau, das nennt sich „Post-Exertionelle Malaise“. Man merkt oft erst verspätet, dass man zu viel gemacht hat, und dann kommt die Quittung – wie ein Kater, aber nicht von Alkohol, sondern einfach nur durch kleinste Anstrengungen.

Lars leidet seit 2022 an Post-Covid (Foto: Privat).
WERDER.DE: Mit so einer Erkrankung ist es schwer, ein geregeltes Leben zu führen. Wie bewältigt und organisiert ihr euren Alltag mit eurer Krankheit?
Anna: Es gibt keine feste Struktur mehr, ich muss viel improvisieren und alles an meine Tagesform anpassen. Ich plane immer mit großen Zeitpuffern, nutze Online-Termine, und wenn ich aus dem Haus muss, überlege ich genau, ob ich mir das leisten kann. Meine Mutter fährt mich oft zu Terminen, weil mich schon kurze Wege erschöpfen können. Ich muss ständig abwägen: Habe ich genug Kraft für einen Spaziergang, oder brauche ich die Energie für etwas anderes? Ich kann nichts langfristig planen und muss immer damit rechnen, dass ich etwas kurzfristig absagen muss.
Lars: In meiner schlimmsten Phase konnte ich maximal eine halbe Stunde am Tag mit meiner Freundin sprechen, dann war ich völlig erschöpft und konnte den restlichen Tag gar nichts mehr machen. Da geht es dann wirklich nur darum, irgendwie die Zeit zu überstehen, weil selbst Fernsehen oder einen Podcast hören schon zu viel ist. Deshalb ist Pacing so wichtig – das heißt, man macht bewusst weniger, als man eigentlich glaubt zu können. Aber das bedeutet eben auch, dass man auf vieles verzichten muss.
WERDER.DE: Ihr seid beide große Werder-Fans. Inwiefern hat sich eure Teilhabe an der gelebten Fankultur durch die Krankheit verändert?
Lars: Früher habe ich viele Auswärtsfahrten mitgemacht, das ist jetzt undenkbar. Da ich in Kiel wohne, war selbst mein einziger Stadionbesuch seit der Erkrankung beim Heimspiel gegen Dortmund eine riesige Herausforderung – ich musste zwei Nächte im Hotel bleiben, weil Hin- und Rückreise inklusive Spiel an einem Tag zu viel gewesen wäre. Und es kommen natürlich nur noch Sitzplätze für mich infrage.
Anna: Vor meiner Erkrankung war ich regelmäßig bei den Fanmärschen zum Stadion dabei und eigentlich auch bei jedem Public Viewing. Das geht heute nicht mehr. 2021 habe ich durch Zufall eine Sitzplatz-Dauerkarte bekommen, kann aber nicht jedes Spiel wahrnehmen. Generell sind meine Stadionbesuche mit sehr viel Planung verbunden. Ich nutze die Stadtteilbusse oder werde zum Stadion gebracht, weil ich sonst zu viel Kraft für die Anreise verschwende.
Lars: Bei Stadionbesuchen spielt auch der Infektionsschutz eine große Rolle. Eine erneute COVID-Infektion oder generell eine Infektionskrankheit könnte alles verschlimmern, deshalb gehe ich nur mit Maske ins Stadion. Im Anschluss noch in die Kneipe zu gehen fällt dadurch weg, selbst wenn ich dazu nicht zu erschöpft wäre – weil es einfach zu riskant ist.
Anna: Neben der Infektionsgefahr sind große Menschenmengen für viele ME/CFS-Patient*innen auch sehr anstrengend, weil zu viele Reize schnell überfordern. Deshalb gehe ich mittlerweile häufig früher ins Stadion, um mich langsam auf die Situation einzustellen.
Empty Stands und die ME/CFS Research Foundation
WERDER.DE: Bekommt ihr Unterstützung von anderen Fans und könnt ihr Kraft aus der Fan-Gemeinschaft ziehen?
Anna: Ja, zum Glück. Über Instagram bin ich durch Zufall auf EMPTY STANDS gestoßen, eine Selbsthilfe- und Aktionsgruppe von Fußballfans, die an ME/CFS und Covidfolgen erkrankt sind. Lars und ich sind Teil dieser Community und der Austausch dort hilft einem enorm, weil viele Menschen ohne diese Krankheit gar nicht nachvollziehen können, was es bedeutet, damit zu leben. Wir arbeiten auch eng mit der ME/CFS Research Foundation zusammen, die sich für eine bessere Erforschung der Krankheit einsetzt. In diesem Rahmen ist auch die #LemonChallengeMECFS entstanden, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Lars: Für mich ist der Fußball sowas wie ein sozialer Anker. Durch meine Erkrankung ist es oft schwer, Kontakte zu pflegen. Der Fußball macht da viel aus, weil man jede Woche wieder einen Anlass hat, mit seinen Werder-Freund*innen in Kontakt zu kommen. Das ist jetzt nochmal viel wichtiger geworden. Meine Erkrankung ist unsichtbar, weil man sie mir nicht ansieht, aber auch, weil Menschen verschwinden, wenn man keine Energie mehr für soziale Treffen hat. Umso wertvoller sind auch Aktionen wie jetzt die Spieltagsaktion, weil man merkt, dass Leute an einen denken.
Anna: Genau! Ich finde es auch schön, dass Werder Erkrankte mit so einer Spieltagsaktion unterstützt und auf die Krankheit aufmerksam macht. Generell erfährt man in der Fangemeinde sehr viel Akzeptanz sowie Rücksicht und ich fühl mich mit meiner Erkrankung sehr wohl im Stadion, aber es ist trotzdem wichtig, weiter für die Krankheit zu sensibilisieren.
"Die Menschen, die am schwersten erkrankt sind, sind nicht in der Lage, so ein Interview wie dieses hier überhaupt zu führen."
Lars WERDER.DE: Warum ist es wichtig, über ME/CFS zu sprechen und auf diese Krankheit aufmerksam zu machen?
Anna: Weil wir als Erkrankte ernst genommen werden wollen. Ich habe in Arztpraxen schon so oft gehört, dass ich vielleicht nur „gestresst“ oder „überlastet“ sei. Viele Leute und selbst viele Ärzt*innen wissen einfach nicht, was ME/CFS ist.
Lars: Das ist ein riesiges Problem. ME/CFS wird oft nicht erkannt oder als psychosomatisch abgetan. Da es in der Medizin leider noch viel strukturellen Sexismus gibt, werden Frauen, die dreimal häufiger von ME/CFS betroffen sind, oft einfach als „hysterisch“ abgestempelt.
Anna: Die Krankheit gab es schon lange vor COVID, aber durch die Pandemie sind viel mehr Menschen betroffen. Trotzdem hängt die Forschung Jahrzehnte hinterher und weil es keine konsequente Forschung gibt, haben Ärtz*innen in der Hinsicht auch wenig Weiterbildungsmöglichkeiten. Daraus resultiert dann, dass die meisten Betroffenen auf sich allein gestellt sind.
Lars: Und das Fatale ist: Die schwersten Fälle sind unsichtbar. Wer so krank ist, dass er das Bett nicht verlassen kann, kann auch nicht für Aufmerksamkeit sorgen. Deswegen ist es wichtig zu betonen: Die Menschen, die am schwersten erkrankt sind, sind nicht in der Lage, so ein Interview wie dieses hier überhaupt zu führen.
Hier geht es zur ME/CFS Research Foundation!
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