WERDER MAGAZIN: Mit welchen Gedanken blicken Sie gut sechs Wochen vor der diesjährigen Mitgliederversammlung der Veranstaltung entgegen?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Ich hoffe darauf, dass es uns bis dahin gelingt, bei den Mitgliederversammlungen der Sportabteilungen und bei weiteren Vereinsveranstaltungen für die Strukturänderung zu werben. Sie wurde von der Strukturkommission entwickelt und vom Präsidium mit großer Mehrheit übernommen und auf den Weg gebracht. Nun geht es darum, dass die daraus resultierenden Vorschläge zur Änderung der Vereinssatzung mit breiter Mehrheit mitgetragen werden. Denn diese Veränderungen sind dringend nötig, damit wir Werder Bremen für die Zukunft noch besser und moderner aufstellen können."
WERDER MAGAZIN: Welches sind die wichtigsten Veränderungen?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Wir wollen mit der neuen Struktur die Personenidentität des Präsidenten des e. V., der bisher auch Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft ist, aufheben und eine klare Trennung vornehmen. Dennoch soll der Einfluss des e. V. auf diese wichtige Position in der Geschäftsführung auch zukünftig gewahrt bleiben, indem das Präsidium beim Auswahlprozess mitbestimmt. Anstelle des bisherigen formalen Entsenderechts tritt also ein sehr weitgehendes Mitbestimmungsrecht für das Präsidium. Denn auch wenn der Präsident zukünftig nicht mehr im operativen Geschäft der KG tätig ist, soll der Einfluss des Vereins als Gesellschafter insgesamt nicht geschwächt werden. Daher gehört zum zukünftigen Gesamtkonstrukt auch eine Stärkung des Vereins bei der Besetzung des Aufsichtsrats. Ab 2025 werden drei, statt bisher zwei, Aufsichtsratsmitglieder entsendet, unter anderem der Präsident. Im Falle einer Stimmengleichheit soll der Präsident als Aufsichtsratsvorsitzender das doppelte Stimmrecht bekommen."
WERDER MAGAZIN: Die Arbeit der Strukturkommission ist ein Meilenstein der zu Ende gehenden aktuellen Amtsperiode des Geschäftsführenden Präsidiums. Welche weiteren gab es?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Wir haben die Mitgliedschaft zunehmend attraktiver ausgestaltet und die Mitgliederzahl kontinuierlich gesteigert. Wir haben die Gremien des e. V. in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Handeln enorm gestärkt, zum Beispiel dadurch, dass nicht mehr nur das Geschäftsführende Präsidium bei der Hauptversammlung der KG vertreten ist, sondern das Gesamtpräsidium. Die Rolle als Gesellschafter haben wir so deutlich selbstbewusster wahrgenommen als früher. Zudem haben wir uns einem Strategieprozess geöffnet, in dem wir uns der Zukunft des Sport-Verein „Werder“ widmen. In unseren Liegenschaften haben wir energetische Maßnahmen ergriffen und zum Beispiel die Sporthallen mit LED-Beleuchtung ausgestattet. Insgesamt haben wir es aus meiner Sicht sehr gut geschafft, zum einen unseren Mitgliedern optimale Sportbedingungen zu bieten und zum anderen deutlich zu machen, dass wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Leuchtturm der Region bewusst sind."
WERDER MAGAZIN: Sie haben dem Wahlausschuss signalisiert, erneut für die Wahl zum Präsidenten zur Verfügung zu stehen. Welche Pläne haben Sie für die nächsten vier Jahre?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Wir wollen den Strategieprozess des e. V. fortsetzen, den Verein weiterentwickeln und uns weiter den sehr bedeutenden Fragen der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit widmen. Wir wollen unser Sportangebot zeitgerecht, altersgerecht, interessengerecht aufstellen. Wir werden uns damit zu beschäftigen haben, ob wir eine Fanabteilung einführen. Und es geht auch in Zukunft darum, wie wir die Rolle als Gesellschafter der Kapitalgesellschaft in der neuen Struktur bestmöglich ausfüllen können."
WERDER MAGAZIN: Ihre Rolle als Präsident wird sich verändern, wenn Sie nicht mehr zugleich Geschäftsführer sind...
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "... weil ich keinen direkten Zugriff mehr auf das operative Geschäft habe. Wenn zukünftig Themen an mich herangetragen werden, dann kann ich nicht sofort selbst für die Umsetzung sorgen, sondern ich muss sie als Aufsichtsrat über die Geschäftsführung anstoßen, kann also sozusagen nur noch „über Bande spielen“. Wichtig ist aber: Wenn Werder Bremen als Gesamtkonstrukt funktionieren soll, dann müssen wir alle in unseren zugewiesenen Rollen professionell agieren, Klarheit in der Rollenverteilung haben, müssen diese Rollen ausfüllen und dürfen sie nicht verlassen."
WERDER MAGAZIN: Es gibt die Absichtserklärung von Aufsichtsrat und Präsidium, Anne-Kathrin Laufmann in der neuen Struktur ab Januar 2023 in die Geschäftsführung zu berufen. Warum ist das die richtige Entscheidung?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Wir haben eine neue Struktur gestaltet, die dieser Tätigkeit in der Geschäftsführung klare Verantwortungen zuordnet – das strategische Ziel der Nachhaltigkeit, der Diversität und das gesamte soziale Engagement, dazu die Sportvereinsentwicklung. Also brauchen wir jemanden, der diese Schwerpunkte inhaltlich kompetent besetzen kann. Anne Laufmann ist seit vielen Jahren bei Werder, arbeitet derzeit als Direktorin CSR und als Nachhaltigkeitsbeauftragte. Sie hat eine hohe Expertise und hat sich bundesweit in vielen Gremien, bei der DFL, beim DFB und in übergeordneten Organisationen, ein hohes Maß an Anerkennung erworben. Dazu kennt sie den Verein sehr gut. Sie war als Jugendreferentin Mitglied des Präsidiums. Und aus diesen unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen kann sie idealtypisch und authentisch die Anforderungen auf dieser Position in der Geschäftsführung erfüllen. "
WERDER MAGAZIN: War der Abpfiff des Heimspiels gegen Regensburg und der damit geschaffte Wiederaufstieg der bisher wichtigste Werder-Moment in diesem noch jungen Jahrtausend?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald (überlegt): "Natürlich war das ein ganz besonderer und wichtiger Moment. Aber wenn man das Jahrtausend betrachtet, dann gab es einige Meilensteine: Zum Beispiel im Jahr 2003 die Ausgliederung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs aus dem Verein, mit dem wir damals die Struktur, die wir nun verändern wollen, geschaffen haben. Auch das war eine Jahrhundert-Entscheidung von sehr großer Bedeutung. Genau wie die Mitgliederversammlung im September 2021, bei der wir unter ganz besonderen Umständen mit Pandemie, Abstieg und einer breiten kritischen Öffentlichkeit zur Kandidatenfindung im Aufsichtsrat ein deutliches Zeichen der Mitglieder bekommen haben, welchen Weg sie mit uns gehen wollen. Danach hatten wir wieder Ruhe, Klarheit und Orientierung innerhalb der gesamten Werder-Familie."
WERDER MAGAZIN: Waren diese Ruhe und Klarheit auch ganz entscheidend für den weiteren Saisonverlauf in der zweiten Liga, an dessen Ende der Wiederaufstieg stand?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Entscheidend war vor allem, dass wir nicht schon zu Beginn das Ziel ‚Wiederaufstieg‘ ausgegeben haben. Wir wollten eine junge entwicklungsfähige Mannschaft aufbauen, die um den Aufstieg mitspielen kann. Wir mussten Transfererlöse erzielen, die neue Mannschaft musste sich erst finden. Und wir haben keinen unnötigen Druck aufgebaut, von dem man gewusst hätte, dass das Team dem gar nicht standhalten kann. Wir haben jederzeit die Ruhe bewahrt, dann beim Wechsel von Markus Anfang zu Ole Werner professionelles Krisenmanagement betrieben und mit dieser Personalie auf der Position des Cheftrainers einen echten Glücksgriff getan."
WERDER MAGAZIN: Wie beurteilen Sie den Saisonstart der Bundesliga-Profis?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Die Mannschaft hat gezeigt, dass wir mit unserer Spielidee auch in der ersten Liga konkurrenzfähig sind und erfolgreich sein können. Wir stehen für attraktiven Fußball, zu Saisonbeginn sogar für Spektakel. Dennoch müssen wir uns immer wieder klarmachen, dass der Wettbewerb knallhart ist und dass wir 34 Endspiele haben. Nur wenn wir weiterhin fokussiert sind, werden wir in der Liga bleiben. Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen."
WERDER MAGAZIN: Der Frauenfußball geht zukünftig in den Verantwortungsbereich von Frank Baumann über. Sie haben sich stets für die Fußballerinnen stark gemacht. Wie beurteilen Sie die derzeitige Entwicklung?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Wir konnten den Frauenfußball bei Werder in den vergangenen Jahren trotz Pandemie entwickeln, auch wenn wir uns gewünscht hätten, dass wirtschaftlich noch mehr möglich gewesen wäre. Der Stellenwert des Frauenfußballs nimmt immer weiter zu, auch durch die Euro in England im vergangenen Sommer. Und die gesellschaftliche Akzeptanz wird größer. Mit dem geplanten Spiel unserer Mannschaft im wohninvest WESERSTADION setzen wir ein Highlight und wollen deutlich machen, welchen Wert der Frauenfußball für Werder hat. Zukünftig wird es darum gehen, dass wir uns strukturell noch besser aufstellen. Unter der Verantwortung von Frank Baumann als Geschäftsführer Fußball wird es möglich sein, weitere Synergien zwischen dem Männer-, dem Nachwuchs- und dem Frauenfußball zu schaffen."
WERDER MAGAZIN: Der Neubau des WERDER Leistungszentrum ist ein zentrales Thema. Wie ist der aktuelle Stand?
Dr. Hubertus Hess-Grunewald: "Das Moderationsverfahren ist so weit fortgeschritten, dass wir die ersten Beteiligungsspaziergänge mit Interessierten durchgeführt haben. Dabei wurden noch einmal viele Fragen aufgenommen, die allerdings die bekannten Themen und Probleme abbildeten. Wir haben bereits den ersten von sechs geplanten Workshops zu verschiedenen Themenfeldern durchgeführt. Und im Frühjahr 2023 werden wir entscheiden, ob wir die Zuversicht haben, diesen Prozess letztlich zu einem Konsens führen zu können. Oder ob die Widerstände und Bedenken so groß sind, dass es keinen Konsens zwischen Anwohnern, Ortsteilpolitik und Werder Bremen gibt. Ich bin nach wie vor sehr optimistisch, dass wir eine Lösung an unserem Standort in der Pauliner Marsch finden werden."