Kutzop, Klasnic, Kruse – und viele, viele mehr…

MENSCHEN BEI WERDER, TEIL 10

Jens Beulke und Ivan Klasnic beim laufen
Rehatrainer Jens Beulke (l.) hat mit vielen Profis zusammengearbeitet, darunter auch Ivan Klasnic (Foto: nordphoto).
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Freitag, 08.07.2022 / 11:00 Uhr

von Martin Lange

Nach 35 Jahren in Diensten des SV Werder Bremen hat sich Jens Beulke aus der täglichen Arbeit verabschiedet. Der 60 Jahre alte Rehatrainer ist in die Freistellungsphase seiner Altersteilzeit eingetreten. Die Lobeshymnen zum Abschied machen deutlich: Beulke wird den Grün-Weißen fehlen.

Auf dem Trainingsplatz wollte eigentlich niemand mit ihm gesehen werden. Aber wenn es doch dazu kam, dann schwärmten alle über die gemeinsame Arbeit. Ein vermeintlicher Widerspruch, der in seiner Aufgabe begründet war: verletzte Spieler wieder fit zu machen. Jens Beulke hat sie mit Leidenschaft, Akribie und eindrucksvoller Menschlichkeit und Empathie ausgefüllt – mehr als es sein Spitzname „Schleifer“ vermuten ließ. Das wurde nicht nur in den Worten von Ex-Werder-Profi Ivan Klasnic deutlich, der an seinen ehemaligen Rehatrainer schrieb: „Ich bin dir für mein ganzes Leben sehr, sehr dankbar. Ich bin ein lustiger und gradliniger Typ, aber auch ein Nörgler. Das hat dich weder gestört noch beeindruckt. Du hast es ausgehalten […] Durch deine Art hast du mich positiv denken lassen und mental gestärkt. Es war eine wahnsinnig intensive Zeit, die bis heute bleibt und mich weiterkämpfen lässt.“

Ivan Klasnic‘ Geschichte steht stellvertretend dafür, welche Bedeutung Jens Beulke mit seiner Arbeit für viele Werder-Spieler hatte. Und sie ragt doch heraus. Schließlich war es vor Klasnic noch niemandem gelungen, mit einer transplantierten Niere in den Profifußball zurückzukehren. Der Weg dorthin: hart und beschwerlich. „An unserem ersten gemeinsamen Tag war es ziemlich warm“, erinnert sich Beulke an das Jahr 2007. „Auf dem Weg von der Kabine zum Trainingsplatz hatte Ivan schon einen Liter Wasser verloren. Es war einer der seltenen Fälle, bei denen ich gedacht habe: Mit Bundesliga-Fußball wird das wohl nichts mehr.“ Doch es kam anders. Und daran hatte Jens Beulke einen enormen Anteil. Er überzeugte Klasnic, zeit seiner Karriere kein Fan von Lauftraining, dass genau dieses nötig war. Beulkes insgesamt mehr als zehn Jahre lange Erfahrung aus der Leitung von Coronarsport-Gruppen beim SV Werder war für die Begleitung des Werder-Profis nicht abträglich. Und so stand Klasnic sieben Monate nach geglückter Transplantation erstmals wieder mit der U23 auf dem Platz, kämpfte sich anschließend zurück in den Kader der Profis, um Ende November 2007 sein Bundesliga-Comeback zu feiern. „Wenn ein Spieler nach einer Verletzung wieder spielt, ist das immer ein schöner Moment. Aber bei Ivan war es sehr besonders“, unterstreicht Beulke.

1962 in Bremen geboren, kickte Jens Beulke als Kind selbst beim TV Eiche Horn, wechselte als Jugendlicher allerdings zum Hockey und fand dort seine Leidenschaft. Nach Abitur und Wehrdienst ging es nach Köln. An der Sporthochschule studierte er Sportwissenschaften, dazu an der Uni Wirtschaftswissenschaften für Oberstufe und berufsbildende Schulen, um später als Lehrer zu arbeiten. Doch als die ersten Schulpraktika auf dem Studienplan standen, „habe ich gemerkt, dass es ein großer Unterschied ist, ob man mit Sportlern arbeitet, die immer sehr motiviert sind, oder mit Schülern, bei denen einige dem Sport nicht so zugetan sind“.

Das Ziel, möglichst schnell ins dauerhafte Berufsleben zu starten, rückte daher kurzzeitig in den Hintergrund. Jens Beulke entschied sich dazu, im und neben dem Studium weitere Qualifikationen zu erwerben, um sich im Sport allgemein, in der Sportmedizin, der Sportorganisation und einigem mehr fachlich möglichst breit aufzustellen. Zudem arbeitete der zweimalige Deutsche Hochschulmeister im Hockey nebenbei als Hockeytrainer bei Schwarz-Weiß Köln. Nach dem Diplom-Abschluss ging es dann jedoch 1987 zurück an die Weser, wo der SV Werder ein Jahr zuvor mit der 100-prozentigen Tochter „Sporthep Werder“ ein eigenes Zentrum für Physiotherapie und Rehabilitation gegründet hattet. Jens Beulke bewarb sich, wurde eingestellt und begann dort – neben seiner Tätigkeit in einem Bremer Hockey- und Tennisverein und als Bremer Hockey-Verbandstrainer – zunächst mit ein paar Wochenstunden als Rehatrainer. In den Folgejahren wurde die Arbeitszeit nach und nach bis zur Vollzeitbeschäftigung (ab 1991) aufgestockt.

„Michael Kutzop und Karl-Heinz Riedle gehörten damals zu meinen ersten Patienten“, verrät Beulke. Und nicht nur aufgrund dieser Prominenz war schnell klar: Der Diplom-Sportlehrer hatte die für ihn passende Aufgabe gefunden. 1991 bezog das „Sporthep Werder“ Räumlichkeiten in der Westkurve des wohninvest WESERSTADION, um im Rahmen des Stadionumbaus 2005 weiterzuziehen – zum Krankenhaus „Links der Weser“. Um weiterhin eine optimale Betreuung der Spieler zu gewährleisten, entschieden sich die Grün-Weißen dazu, einige Mitarbeiter zukünftig selbst zu beschäftigen. Jens Beulke wechselte zunächst ins WERDER Leistungszentrum und kümmerte sich überwiegend um die Spieler der U23. 2016 ging es dann noch einmal fest zu den Profis.

Wynton Rufer, Andreas Herzog, Mario Basler, Miroslav Klose, Marco Bode, die damaligen Nachwuchsspieler Martin Harnik und Max Kruse in ihrer U23-Zeit, Fin Bartels oder Philipp Bargfrede und viele mehr – wer nicht das seltene Glück hatte, in seiner Werder-Zeit vollkommen verletzungsfrei zu bleiben, der bekam es irgendwann mit Jens Beulke zu tun. Mehrere Hundert Profis und Nachwuchsspieler betreute Werders Rehatrainer in dreieinhalb Jahrzehnten mehr oder weniger intensiv – je nach Schwere und Dauer der Verletzung. „Es gab viele Persönlichkeiten, die Eindruck hinterlassen haben“, sagt Beulke. „Sei es durch die Späße, die sie auch mal gemacht haben, oder durch den ausgeprägten Willen, den sie bei ihrer Arbeit hatten.“ Jens Beulke ahnt, dass ihm zukünftig insbesondere der persönliche Kontakt zu den Spielern fehlen wird.

Dass sich seine Arbeit in den zurückliegenden 35 Jahren deutlich verändert hat, betrachtet der 60-Jährige nicht frei von Zweifel: neue moderne Untersuchungsverfahren, die Digitalisierung. „Ich bin mir nicht sicher, ob das ausschließlich ein positiver Trend ist“, urteilt Beulke. „Das geschulte Auge sollte immer noch eine Rolle spielen, nicht nur die Daten aus den Untersuchungen. Der Mensch darf die Verantwortung nicht ausschließlich auf die Technik übertragen.“ War Jens Beulke als Rehatrainer viele Jahre lang eher multifunktionaler Rundum-Betreuer der Spieler, so ist heute Teamarbeit gefragt. Denn die Anzahl der Menschen, die an einem Reha-Prozess beteiligt sind, ist enorm gestiegen. „Sportpsychologe, Neurotrainer, Athletiktrainer, um nur einige zu nennen“, so Beulke. „Das stellt hohe Anforderungen an die Kommunikation und die Abstimmung untereinander. Vieles wird dokumentiert und muss dann wiederum von anderen gelesen werden. Dabei ist es immer etwas Anderes, ob man direkt mit dem Verletzten arbeitet oder von jemandem Informationen bekommt.“

Früher lief Jens Beulke mit den Profis um den Werdersee – oder zumindest unzählige Runden um die Trainingsplätze. „Damals habe ich gedacht, dass für mich damit mit 40 spätestens Schluss ist“, lacht er. „Zum Glück bin ich ohne schwere Verletzungen durchgekommen, und es ging noch ein bisschen länger… Außerdem läuft heute kaum noch ein Rehatrainer längere Zeit neben seinem Patienten her.“

Längst hat Jens Beulke seine Nachfolger eingearbeitet und sich bereits in den vergangenen Monaten aus der einen oder anderen Aufgabe etwas zurückgezogen. Denn: „Ich möchte zunächst ein halbes Jahr lang Abstand gewinnen. Das ist nicht nur für mich wichtig, sondern auch für die, die nun die Arbeit machen. Sie müssen ihren eigenen Weg finden. Ich möchte nicht in die Zeit hineinwirken, in der ich nicht mehr da bin.“ Gleichwohl will sich Beulke noch in der einen oder anderen fachübergreifenden Arbeitsgruppe engagieren. Sein Rat ist dort gefragt, und er möchte etwas zurückgeben, die Gesamtentwicklung der Grün-Weißen unterstützen. „Ich habe bei Werder viele Titel, zuletzt aber auch die schwierigen Jahre miterlebt“, sagt Beulke. „Und außerdem die Entwicklung vom Verein zu einem mittelständischen Unternehmen.“

In diesem Wachstumsprozess sei der SV Werder mit der harmonischen Entwicklung der Strukturen nicht immer ganz nachgekommen, findet Beulke. „Deshalb ist es ein toller Ansatz, die zukünftige Entwicklung auch aus der Mitarbeitenden-Perspektive zu denken. Um Werte wie Zusammenarbeit und Zusammenhalt zu erhalten. Um die Strukturen, in denen gearbeitet wird, ein bisschen aufzubrechen. Um fachübergreifend zu arbeiten.“

Klar ist: Die Kontakte zum SV Werder werden auch zukünftig nicht abbrechen. „Es gibt einige enge Beziehungen, die ich sicher weiterpflegen werde“, sagt Jens Beulke. „Zum Beispiel mit Thomas Wolter, mit dem ich nahezu die gesamte Zeit zusammengearbeitet habe. Als ich begann, war er Spieler, dann Trainer, dann Sportlicher Leiter im Leistungszentrum.“ Beulke verschweigt nicht, dass er „mit der einen oder anderen Entwicklung im Profifußball, abseits des Sportlichen – gerade, wenn man den Menschen im Vordergrund sieht – nicht immer ganz einverstanden“ ist. Zum Bundesliga-Fußball habe er mittlerweile eine gewisse Distanz, daher werde er auch nicht zwingend jede Partie im wohninvest WESERSTADION verfolgen.

Langweilig wird dem zukünftigen Ruheständler jedoch sicher nicht werden. Schließlich ist er kürzlich nach mehr als 20 Jahren passiver Mitgliedschaft im Tennisverein wieder aktiv auf den Court zurückgekehrt. Mit Ehefrau Frauke engagiert sich Jens Beulke zudem in der Kirchengemeinde und kann sich dort vorstellen, seine Arbeit mit Kindern weiter auszubauen. Auch ein Buch ist nicht ausgeschlossen. Schließlich schreien die vielen Werder-Erlebnisse und Anekdoten förmlich danach, schriftlich für die Nachwelt festgehalten zu werden. Außerdem möchte Jens Beulke reisen. Die USA stehen weit oben auf der Wunschliste. Vielleicht mit einer ganz neuen Erfahrung: „Ich habe mir schon immer vorgestellt, wie es wohl ist, wenn man am Ende des Urlaubs einfach sagt: ‚Wir bleiben spontan noch etwas länger‘“, lacht er. „Und wenn man nicht drei Tage vor der Abreise mit den Gedanken schon wieder bei der Arbeit ist.“

 

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