"Habe mir immer kurzfristige Ziele gesetzt"

Anthony Jung im großen WERDER.DE-Interview des Monats

Anthony Jung genießt es, beim SV Werder Bremen zu spielen
Anthony Jung genießt es, beim SV Werder Bremen zu spielen (Foto: nordphoto).
Interview
Montag, 22.11.2021 / 17:20 Uhr

Das Interview führte Martin Lange

Linksfuß, dänischer Meister, erfahren, ehrgeizig, bodenständig – die Verpflichtung von Anthony "Tony" Jung im Sommer durfte getrost als kleiner Coup der Grün-Weißen bezeichnet werden. Im ersten Teil des großen WERDER.DE-Interviews des Monats spricht der 30-Jährige über seinen Weg in den Profifußball, die Zeit in Dänemark und über die Beziehung zu seinem spanischen Vater.

WERDER.DE: Tony, für viele war dein Wechsel von Bröndby IF nicht auf Anhieb nachzuvollziehen…

Anthony Jung: "…aber für mich hat es sich richtig angefühlt, nach vier tollen Jahren das Kapitel „Bröndby“ zu beenden und etwas Neues zu machen. Der Gewinn des Meistertitels war ein perfekter Abschluss. Mir war klar, dass es schwierig geworden wäre, in nächster Zeit noch einmal Ähnliches zu erreichen oder diesen Titelgewinn sogar noch zu toppen."

WERDER.DE: Was hat dich bei Werder bisher überrascht?

Anthony Jung: "Ich wusste natürlich, dass ich zu einem großen Club komme. Aber der erste Tag hier hat mich trotzdem beeindruckt: Das Stadion hat wirklich eine ganz schöne Wucht. Und die Möglichkeiten, die wir für unsere Arbeit haben, zum Beispiel der Physiobereich und das Drumherum im Kabinentrakt, sind besser und größer, als ich es bisher bei den meisten anderen Clubs erlebt hatte. Ich bin sehr glücklich, dass ich mich für Werder entschieden habe."

WERDER.DE: Du bist in Spanien geboren und hast dort die ersten drei Jahre deines Lebens verbracht. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?

Anthony Jung: "Eigentlich keine, da ich noch sehr jung war, als sich meine Eltern getrennt haben und meine Mutter mit mir nach Deutschland zurückgegangen ist. Es gibt einige Fotos von damals, durch die ich eine Ahnung davon bekommen habe, wie es in Spanien war. Ich kann mich zum Beispiel an ein Bild von mir im Wasserpark „Aqualandia“ in Benidorm erinnern, auf dem ich sehr ernst in die Kamera gucke (lacht)."

Ich hatte eine sehr schöne Kindheit.
Anthony Jung

WERDER.DE: Wie ist der Kontakt zu deinem Vater in Spanien?

Anthony Jung: "Als ich etwa acht oder neun Jahre alt war, kam er für ein paar Tage nach Deutschland. Danach hatte ich lange keinen Kontakt, bis wir ihn im Sommer 2018 zu unserer Hochzeitsfeier eingeladen haben. Seitdem sind wir wieder in regelmäßigem Kontakt. Ich hoffe, dass er uns Anfang nächsten Jahres hier in Bremen besuchen wird und dann zum ersten Mal seinen Enkel auf den Arm nehmen kann."

WERDER.DE: Du bist ohne deinen Vater in Wiesbaden aufgewachsen. Wie hast du deine Kindheit erlebt?

Anthony Jung: "Ich hatte eine sehr schöne Kindheit, in ganz normalen einfachen Verhältnissen. Meine Mutter ist eine echte Powerfrau, und ich bin dankbar dafür, dass sie mir diese Kindheit ermöglicht hat. Als ich sechs Jahre alt war, hat sie mich im Fußball-Verein angemeldet. Vorher hatte ich viel draußen gebolzt, auf der Straße gekickt. Insbesondere mein Opa, der selbst gespielt hatte, hat dann meinen fußballerischen Weg begleitet. Er hat meine Spiele gefilmt, mich angetrieben als junger Fußballer. Ich habe viele sehr gute Erinnerungen an meine Kindheit."

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WERDER.DE: Mit 13 Jahren bist du zu Eintracht Frankfurt gewechselt. War ab diesem Zeitpunkt klar, dass du Profi werden wolltest?

Anthony Jung: "Ich habe schon vor dem Wechsel zur Eintracht gemerkt, dass ich in meiner Altersklasse im Vergleich zu anderen nicht so schlecht war. Dann kam ich zum Nummer-eins-Club in Hessen und wusste, dass es nun ernst wird und ich die Möglichkeit haben werde, ganz nach oben zu kommen, wenn ich mich dort in der Jugend behaupten kann. Insgesamt habe ich aber gar nicht so viel darüber nachgedacht, sondern einfach Fußball gespielt, immer versucht an mein Maximum zu kommen, den Sport gut mit der Schule zu verbinden und die gesamte Belastung bestmöglich zu stemmen."

WERDER.DE: Bei der Eintracht hat es für dich letztlich nicht mit dem Sprung nach ganz oben geklappt. Warum?

Anthony Jung: "Ich denke, dass ich damals einfach noch nicht so weit war. Mein letztes A-Jugend-Jahr war schwierig, ich lag lange Zeit mit Pfeifferschem Drüsenfieber flach, konnte mich nicht richtig präsentieren. In der zweiten Mannschaft der Eintracht gab es dann aber einen größeren personellen Umbruch, durch den ich mit reingerutscht bin ins Team. Der Trainer sagte allerdings zu mir: „Wenn noch Spieler von den Profis runterkommen, haben wir besonders im zentralen Mittelfeld sehr viele Leute. Hinten links wäre die Chance zu spielen für dich größer.“ Ich hatte zwar die Jahre davor im zentralen Mittelfeld gespielt. Aber es war mir egal, wo ich auflaufe."

WERDER.DE: Über die zweite Mannschaft konntest du dich sogar für die Profis empfehlen…

Anthony Jung: "Als Christoph Daum 2011 Trainer der Bundesliga-Mannschaft wurde, hat er ganz zu Beginn mit seinem Co-Trainer ein Spiel der zweiten Mannschaft angeschaut. Ich bin damals als Innenverteidiger aufgelaufen. Schon am nächsten Tag habe ich oben mitttrainiert. Und zum ersten Mal hautnah mitbekommen, was im Profifußball so los ist. Als junger Spieler Christoph Daum zu erleben, war eine eindrucksvolle Erfahrung und hat sich damals etwas surreal für mich angefühlt."

WERDER.DE: 2012 bist du zunächst zum FSV Frankfurt in die zweite Liga gewechselt und dann ein Jahr später zum MSV Duisburg, damals ebenfalls Zweitligist, allerdings nicht mehr lange…

Anthony Jung: "Das war tatsächlich eine kuriose Erfahrung... Es gab in Duisburg ein bisschen Probleme mit der Lizenz. Aber alle haben gesagt: 'Zu 99,9 Prozent haben wir das Ding' (lacht). Nach einer Woche Vorbereitung kam dann allerdings das Urteil: Zwangsabstieg in die dritte Liga. Mein Vertrag war damit ungültig, Es ging dann glücklicherweise recht schnell, dass ich bei RB Leipzig unterkam. Zwar auch in der dritten Liga, aber sie haben mir eine gute Perspektive aufgezeigt, wussten genau, wohin sie wollten. Die Gespräche mit Ralf Rangnick waren sehr überzeugend. Mir ging es damals um eine gute Perspektive und darum, zu spielen. Der Aufstieg in die 2. Bundesliga war das erklärte Ziel, und es hat dann auch gleich im ersten Jahr geklappt."

WERDER.DE: „Er ist jung, schnell und verfolgt einen genauen Karriereplan“ – so titelte die Leipziger Volkszeitung damals. Stimmte diese Einschätzung hinsichtlich deines Karriereplans?

Anthony Jung: "Vielleicht war damit gemeint, dass meine Ziele mit denen des Clubs übereinstimmten. Ich habe meine Karriere allerdings nie mehrere Jahre im Voraus geplant. Dort, wo ich war, habe ich immer Gas gegeben und versucht, dabei zu helfen, die Ziele des Vereins zu erreichen."

WERDER.DE: Mit knapp 25 Jahren hast du dann beim FC Ingolstadt zum ersten Mal in der ersten Liga gespielt. Eine späte Genugtuung?

Anthony Jung: "Natürlich war die erste Liga immer mein Ziel, aber ich hatte durchaus Geduld bis dahin. Ich habe mir immer kurzfristige Ziele gesetzt, wollte mich weiterentwickeln und meinen Weg gehen. Es war kein Muss, unbedingt in der ersten Liga zu spielen. Leider war das Jahr dann auch nicht einfach…"

Von Ingolstadt nach Dänemark

WERDER.DE: Du warst von RB Leipzig nach Ingolstadt ausgeliehen…

Anthony Jung: "…und wenn ich an das Gespräch mit den Verantwortlichen denke, würde ich mich wohl immer wieder für Ingolstadt entscheiden. Vorher hatte ich bei Leipzig in der zweiten Liga zwar 23 Einsätze gehabt, allerdings eher in einer Joker-Rolle. Wir haben dann den Aufstieg geschafft. Und um wieder mehr zu spielen, war der Schritt zu einem anderen Erstligisten, also nach Ingolstadt, einfach logisch für mich. Leider ist dieser Plan insgesamt nicht aufgegangen, wir sind außerdem mit Ingolstadt abgestiegen."

WERDER.DE: Warum hast du dich nach der Saison in Ingolstadt für den Wechsel nach Dänemark entschieden?

Anthony Jung: "Zum einen waren die Optionen in Deutschland sehr begrenzt. Und durch Alexander Zorniger, den ich als Trainer aus Leipzig kannte, kam der Kontakt nach Bröndby zustande. Er rief mich an, aber im ersten Moment war Dänemark für mich gedanklich sehr weit weg. Und ich habe mich zunächst dagegen entschieden. Relativ spät in der damaligen Transferperiode habe ich dann aber doch noch meine Meinung geändert. Insbesondere auch deshalb, weil ich wusste, dass ich auf einen Trainer treffe, der mich kennt und mir vertraut."

WERDER.DE: Wie hast du den Fußball in Dänemark erlebt?

Anthony Jung: "Es geht relativ robust zu. Die Schiedsrichter lassen viel laufen, es erinnert manchmal etwas an die englische Premier League. Das Leistungsniveau in der Spitze ist sehr gut, aber es fällt in der Liga auch sehr stark ab. Der Stellenwert des Fußballs in Dänemark ist hoch. Bröndby IF ist ein geiler Club mit einer coolen Fankultur. Die Menschen leben für den Fußball. Und die Derbys gegen den FC Kopenhagen waren wirklich Wahnsinn, das hat richtig Spaß gemacht."

Im zweiten Teil des WERDER.DE-Interviews blickt Anthony Jung auf seine ersten Monate bei den Grün-Weißen, verrät, mit welchen Erwartungen er nach Bremen kam, und erklärt seine Leidenschaft für Hunde.

 

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