"Es spricht für einen guten Charakter, sich zurückzunehmen"

Maximilian Eggestein im Interview des Monats

Maximilian Eggestein von Werder Bremen läuft im Heimspiel dem Ball hinterher.
Maximilian Eggestein absolvierte für Werder bislang 142 Bundesliga-Spiele (Foto: nordphoto).
Interview
Donnerstag, 04.02.2021 / 18:02 Uhr

Das Interview führte Martin Lange

Wenn alles wie geplant läuft, dann wird Maximilian Eggestein in einigen Wochen sein 150. Bundesliga-Spiel für den SV Werder Bremen bestreiten. Im ersten Teil des großen WERDER.DE-Interviews spricht der Mittelfeldspieler über sein Alter, junge Spieler und die Trennung von Bruder Johannes.

WERDER.DE: Maxi, wie fühlt sich diese Saison an für dich zwischen den ganzen jungen Spielern?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Ich merke jetzt, wie alt ich mittlerweile bin (lacht). Im Ernst: Mich freut es sehr, dass die jungen Spieler zuletzt zeigen konnten, dass es der richtige Weg ist, den Werder mit ihnen geht. In der Hinrunde gab es in der Öffentlichkeit schon wieder erste Stimmen, die behaupteten, die Jungen hätten nicht die notwendige Qualität. Zuletzt haben sie das Gegenteil unter Beweis gestellt.“

WERDER.DE: Fühlst du dich tatsächlich mittlerweile als Älterer?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Ich gebe zu: Es ist noch etwas ungewohnt. Nach dem Spiel in Gladbach habe ich mir unsere Startelf angeschaut. Und da war ich genau in der Mitte. Fünf Spieler waren älter und fünf jünger als ich. Ich finde, dass wir eine spannende Mischung in der Mannschaft haben und eben nicht nur junge, sondern auch sehr erfahrene Spieler. Und wenn ich mich zu einer der beiden Gruppen zählen müsste, dann wohl zu den erfahrenen. Schließlich habe ich mittlerweile schon ein paar Bundesliga-Spiele mitgemacht.“

Leader in der jungen Werder-Mannschaft

WERDER.DE: Ist es ein gutes Gefühl, mittlerweile diesen Status zu haben?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Ich mache mir das gar nicht so bewusst. Es ist ein ganz normaler Prozess, mit den Jahren wächst man einfach in diese Rolle rein. Von außen wird darauf vielleicht ein bisschen mehr geschaut. Als ich im Dezember 24 geworden bin, gab es mit den Glückwünschen schon ein paar Sticheleien nach dem Motto: ‚Jetzt bist du aber kein Talent mehr‘ (lacht).“

WERDER.DE: Welche Entwicklung habt ihr als Mannschaft aus deiner Sicht in dieser Saison genommen?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Ich finde, dass wir reifer geworden sind in unserer Art, Fußball zu spielen. Es geht eben nicht immer darum, schönen Fußball zu spielen. Wir sind uns auch nicht zu schade, mal andere Mittel zu wählen, um erfolgreich zu sein. Nehmen wir das Heimspiel gegen Union Berlin vor einigen Wochen: Da sind wir doch etwas leichtsinnig vorne angerannt. Mittlerweile sagen wir: Egal, ob wir nur 30 Prozent Ballbesitz haben, Hauptsache wir gewinnen am Ende.“

WERDER.DE: Und für den bisherigen Saisonverlauf gilt offensichtlich: Mit den Punkten kommt auch die nötige Sicherheit, um schöner zu spielen?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Nicht nur für die Saison, auch für einzelne Spiele. Das Spiel gegen Augsburg war aus meiner Sicht sinnbildlich dafür. In der ersten Halbzeit haben wir defensiv gut gestanden, aber wenig den Ball gehabt. In der zweiten Halbzeit haben wir dann auch mit dem Ball gut gespielt, haben mit zunehmendem Spiel an Sicherheit gewonnen, hatten immer mehr Selbstvertrauen, mehr Ballbesitz und haben uns dann auch belohnt und verdient 2:0 gewonnen.“

Dass man nie aufhören sollte, an sein Ziel zu glauben.
Maximilian Eggesteins wichtigste Erfahrung:

WERDER.DE: Wie beurteilst du deine bisherige Profikarriere?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Wenn mir damals, als ich 2011 hier ins Internat kam, jemand gesagt hätte, dass ich mit 24 mehr als 150 Pflichtspiele für die Profis gemacht haben werde, dann hätte ich gesagt: Puh, das wird wohl schwierig! Natürlich gibt es Dinge, die ich rückblickend vielleicht anders gemacht hätte. Aber insgesamt bin ich doch sehr zufrieden damit, wie es bisher gelaufen ist.“

WERDER.DE: Was ist für dich die wichtigste Erfahrung aus der vergangenen Saison?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Dass man nie aufhören sollte, an sein Ziel zu glauben. Nach der Niederlage in Mainz am vorletzten Spieltag waren wir für alle schon abgestiegen. Und auch uns fiel es zunächst unglaublich schwer, noch daran zu glauben, dass wir es schaffen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie niedergeschlagen ich Sonntag und Montag zu Hause gesessen habe. Dienstag sind wir dann alle zum Training gekommen. Und es war eine total leblose Stimmung. Erst am Donnerstag waren wir aus diesem Loch wieder raus und haben uns gesagt: Wir machen am letzten Spieltag so gut wie möglich unseren Job, und dann schauen wir mal. Wir wissen jetzt: Bis zum Ende an die Chance glauben, seine eigene Aufgabe erledigen, und dann kann es auch in aussichtslos erscheinenden Situationen klappen.“

Grundsatz: Alles für die Mannschaft geben

WERDER.DE: Wenn du das Relegationsrückspiel in Heidenheim mit dem Abstiegsendspiel gegen Frankfurt 2016 hier im wohninvest WESERSTADION vergleichst…

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „… dann war der Druck in Heidenheim um einiges größer. Zum einen weil ich mittlerweile eine andere Rolle in der Mannschaft habe als 2016. Zum anderen war gegen Frankfurt damals relativ schnell klar, dass parallel Stuttgart in Wolfsburg verliert und wir an dem Tag nicht direkt absteigen würden. Wir hätten also auf jeden Fall noch zwei Spiele gehabt.“

WERDER.DE: Sich immer in den Dienst der Mannschaft zu stellen, gehört bekanntermaßen zu deinen großen Stärken. Wann hast du das verinnerlicht?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Mein Vater, der eine Zeit lang auch mein Trainer war, hat immer gesagt: Ihr könnt als Einzelspieler nur gut aussehen, wenn auch die Mannschaft gut aussieht. Das empfinde ich als ganz wichtigen Grundsatz. Ich mag es einfach, wenn Spieler ihre eigenen Bedürfnisse für das Team zurückstellen. Denn es spricht für einen guten Charakter, wenn man sich zurücknimmt und sich selbst nicht zu wichtig nimmt. Es gibt wenige Spieler, die den Anspruch haben dürfen, über dem Team zu stehen. Vielleicht Ronaldo und Messi. Aber außer den beiden gibt es kaum Spieler, die ein Spiel ganz alleine gewinnen können.“ 

WERDER.DE: Trotzdem möchte jeder, dass seine Leistung anerkannt wird…

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Ich habe ab und zu das Gefühl, dass die Leute von mir erwarten, dass ich jedes Wochenende ein Tor schieße. Aber das ist auf meiner Position eher unwahrscheinlich und auch nicht mein hauptsächlicher Job. Mir ist immer am wichtigsten, dass ich den Mitspielern am nächsten Tag in die Augen schauen und guten Gewissens sagen kann: Ich habe alles für die Mannschaft gegeben.“

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WERDER.DE: Kannst du diese Haltung auf das gesamte Team übertragen?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Ich denke schon, dass sich andere daran orientieren können und dies auch tun. Bei uns konnte man zuletzt deutlich erkennen, dass sich alle in den Dienst der Mannschaft gestellt haben. Dass sich gerade für die Defensivarbeit niemand zu schade war. Und dann sieht man, dass es gut funktioniert und erfolgreich ist.“

WERDER.DE: Auch eine wohltuende Bodenständigkeit wird dir bescheinigt. Wie erhält man sich als Fußballprofi den Bezug zur Realität?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Man muss sich bewusstmachen, dass es nicht selbstverständlich ist, Fußballprofi zu sein. Auch dass wir im Moment während der Corona-Pandemie unseren Beruf ausüben dürfen, ist nicht selbstverständlich. Viele müssen darauf verzichten, arbeiten zu gehen. Wenn man sich darüber klar wird, ist es nicht so schwer, sich den Bezug zur Realität zu erhalten.“

WERDER.DE: Wie war die Trennung von deinem Bruder Johannes, der bis zum Sommer an den Linzer ASK ausgeliehen ist?

MAXIMILIAN EGGESTEIN: „Schwer! Sehr schwer! Es war eine kurzfristige Entscheidung. Wir konnten uns nicht lange darauf vorbereiten. Mir ist es wahrscheinlich noch etwas schwerer gefallen als Jojo. Schließlich hat er in Linz etwas Neues kennengelernt, hatte damit genug zu tun und konnte sich ablenken. Ich bin dagegen im gewohnten Umfeld geblieben, in dem wir vorher eigentlich immer zusammen waren, nur jetzt eben ohne ihn. Wir haben allerdings auch nicht weinend zu Hause gesessen (lacht). Für Jojo bot sich eine sehr gute Chance. Es läuft für ihn. Er hat alles richtig gemacht.“

Im zweiten Teil des großen WERDER.DE-Interviews spricht Maximilian Eggestein über Erinnerungen an seine Kindheit, den schmerzhaften Abschied von einer möglichen Karriere als Torwart und darüber, wie er sich in Jojos Verhandlungen mit dem LASK schlich.

 

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