Zwischen sportlichem Ehrgeiz und gesellschaftlicher Verantwortung

Werder-Coach Florian Kohfeldt im Interview

Cheftrainer Florian Kohfeldt setzt sich täglich mit der sportlichen Situation, aber auch der Verantwortung in Zeiten der Corona-Pandemie auseinander (Archivfoto: nordphoto).
Interview
Mittwoch, 18.03.2020 / 17:05 Uhr

Das Interview führte Markus Biereichel

Es ist ruhig am Osterdeich. Die Geschäftsstelle der Grün-Weißen: aktuell geschlossen. Klaassen, Kapino und Co.: arbeiten zuhause an ihren individuellen Trainingsplänen. Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben das tägliche Leben beim SV Werder nahezu zum Erliegen gebracht. Für Florian Kohfeldt und sein Trainerteam allerdings geht es weiter tatgtäglich darum, die Folgen unter sportlichen Gesichtspunkte zu bewerten und die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Alle von uns wollen diese Saison zu Ende spielen, um unser sportliches Ziel, den Klassenerhalt, zu schaffen“, erklärt Cheftrainer Florian Kohfeldt. Bei all der sportlichen Verantwortung gewährt der Werder-Coach aber vor allem dem gesellschaftlichen Ernst der Lage den Vorrang: „Die Realität macht vor den Türen unserer Kabine ja keinen Halt.“

WERDER.DE hat mit Cheftrainer Florian Kohfeldt über die Corona-Pandemie, die Auswirkungen auf den Bundesligawettbewerb und die mögliche Rückkehr alter Leistungsträger gesprochen. 

WERDER.DE: Wie hast du den Beschluss der DFL-Mitgliederversammlung, den Spielbetrieb bis zum 02. April auszusetzen, aufgenommen?

Florian Kohfeldt: „Die Entscheidung hatte natürlich für uns im sportlichen Alltag eine große Relevanz, weil sie quasi sofort den Wettkampf- und Trainingsbetrieb für eine gewisse Zeit beendet hat. Seitdem setzten wir uns jeden Tag mit der Situation auseinander.“

WERDER.DE: Was heißt das für eure Planungen? Wie sehen die nächsten Tage konkret aus?

Florian Kohfeldt: „Wir haben uns entschieden, dass wir zunächst Leistungstests machen, um mit frischen Daten unsere Belastbarkeit zu testen. Wir wollen die Zeit nutzen, um individuell konditionelle Reize setzen zu können. Daher haben wir die Spieler bis zum 30. März mit individuellen Trainingsplänen ausgestattet, die nicht der Erhaltung, sondern der Reizsetzung dienen sollen. Die Situation ist nicht vergleichbar mit der Sommer- oder Winterpause, bei denen es um Regeneration geht, sondern es wird weiter trainiert. In einem solchen Fall ist es teilweise sinnvoller, individuelle Trainingsziele vor Augen zu haben, statt gemeinsam zu trainieren.“

WERDER.DE: Was machen die Spieler konkret in ihrem, nennen wir es ‚Home Office‘?

Florian Kohfeldt: „Sie haben für jeden Tag klare Anweisungen, was in ihrer Trainingsarbeit zu tun ist. Das ist niedergelegt. Sie haben alle Uhren mitbekommen, auf denen die Läufe einprogrammiert sind. Es stehen aber nicht nur Läufe, sondern auch Kraft- und Stabilitätsübungen auf dem Programm. Es sind volle Trainingstage, die sie haben. Was wegfällt, ist das taktische Arbeiten auf dem Platz. Wenn sich der spielfreie Zeitraum noch einmal verlängert, überlegen wir den Spielern mithilfe von Videos neuen Input zu geben. Das ist aktuell noch nicht geplant. Das jetzige Trainingspensum wird kontrolliert. Die Sender, die sie sonst im Training anhaben, nehmen sie mit nach Hause. Wir kontrollieren ihr Training also nicht nur über die Uhr, wie in der Sommerpause, sondern auch darüber. Das Monotoring-Programm läuft ganz normal weiter.“

WERDER.DE: Das könnt ihr täglich auslesen?

Florian Kohfeldt: „Richtig, das lesen wir täglich aus. Die Daten werden über das Internet übertragen.“

WERDER.DE: Die Mannschaft wird erst Ende März wieder gemeinsam trainieren, ist das nicht etwas fahrlässig, schließlich ist die Pause bislang nur bis zum 2. April angesetzt?

Florian Kohfeldt: „Wir haben die individuelle Trainingsplanung so gestaltet, dass wir reagieren können. Sollten wir am 2. April spielen, werden die Spieler wieder früher ins Mannschaftstraining einsteigen. Nichtsdestotrotz müssen wir auch in größeren Wahrscheinlichkeiten denken, dementsprechend erschien uns ein individuelles Training bis zum 30. März, um konditionell noch einmal einen Reiz zu setzten, am sinnvollsten. Zwischendrin gibt es immer wieder Regenerationseinheiten, die uns die Möglichkeit geben, die Spieler frühzeitig ins Teamtraining zurückzuholen."

WERDER.DE: Wie lange würde es dann dauern, bis die Mannschaft wieder in den normalen Rhythmus kommt?

Florian Kohfeldt: „Das wird davon abhängig sein, wie lange die Spielpause ist. Unser letzter Wettkampfeinsatz gegen Berlin ist nun eineinhalb Wochen her, das ist noch kein Drama. Wenn wir dann Anfang April wieder spielen, sind es in etwa drei Wochen. Das ist vergleichbar mit der Winterpause und bedeutet, dass man nicht die selbe Anlaufzeit hat, wie im Sommer. Unser Fokus wird darauf liegen wieder den Spielrhythmus vor den ersten Partien zu bekommen. Über ‚Matchtraining‘ mit der U23 wollen wir den Spielern dann möglichst viel Spielzeit geben, um eine Partie zu simulieren. Wir können zwar voraussichtlich nicht gegen andere Profi-Mannschaften testen, aber das bietet natürlich auch Chancen, weil es eine andere Art der Vorbereitung ist."

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WERDER.DE: Wie hat die Mannschaft auf die Ereignisse der vergangenen Woche rund um das Leverkusen-Spiel reagiert?

Florian Kohfeldt: „Dabei muss man zwischen der sportlichen und menschlichen Ebene unterscheiden. Alle von uns wollen diese Saison zu Ende spielen, um unser sportliches Ziel, den Klassenerhalt, zu schaffen. Auf der anderen Seite betrifft es uns natürlich alle menschlich. Die Realität macht vor den Türen unserer Kabine ja keinen Halt. Wir sind auch Familienväter und nehmen am normalen gesellschaftlichen Leben teil. Deshalb habe ich große Sorgen des einen oder anderen verspürt, aber auch ein großes Verantwortungsbewusstsein wahrgenommen. Wir haben uns von Beginn an die Anweisungen gehalten, nochmal die Hygienemaßnahmen verstärkt und das mit in den privaten Bereich genommen. Unabhängig ob Fußball-Profi oder nicht, jeder hat eine gesellschaftliche Verantwortung.“

WERDER.DE: Was erwartest du für Auswirkungen auf den Saisonverlauf durch diese Unterbrechung?

Florian Kohfeldt: „Es verändert den Wettbewerb immens, weil wir uns jetzt auf keine normale Saison vorbereiten. Sollte es wie geplant weitergehen, ist es schon mal nahezu ausgeschlossen, dass wir nur einmal in der Woche spielen. Wir werden vermutlich alle drei Tage spielen und müssen uns viel schneller regenerieren. Das ist nun eine ganz andere Vorbereitung, als wenn du jedes Wochenende im Einsatz wärst. Außerdem werden wir vielleicht ohne Fans weitermachen müssen. Neben der hohen Dichte an Spielen wird auch das eine große Rolle spielen.“

"Unabhängig ob Fußball-Profi oder nicht, jeder hat eine gesellschaftliche Verantwortung.“
Florian Kohfeldt

WERDER.DE: Einige Außenstehende mutmaßen, dass die Saison gar nicht zu Ende gespielt werden kann und es somit keinen sportlichen Absteiger geben würde. Wie wäre ein solches Szenario für dich?

Florian Kohfeldt: „Wir sind Sportler! Wir haben einen Wettkampf begonnen und wollen ihn beenden. Dass diese Saison bisher sehr enttäuschend verlief, ist kein großes Geheimnis, aber wir allen haben den Ehrgeiz über diesen Weg in der Liga zu bleiben. Davon sind wir nach wie vor überzeugt.“

WERDER.DE: Die Verletzung von Ömer Toprak hat sich als schwerer dargestellt als vorher angenommen. Wie sieht es bei ihm aus und wie lange wird er fehlen?

Florian Kohfeldt: „Es hat sich bestätigt, dass im Sprunggelenk noch ein paar andere Dinge betroffen sind, die aufgrund der Schwellung zunächst nicht zu sehen waren. Vom Zeitpunkt des Frankfurt-Spiels gehen wir von einer Ausfallzeit von acht bis zehn Wochen aus.“

WERDER.DE: Kann ein Gutes dieser Unterbrechung sein, dass Spieler wie Kevin Möhwald oder Niclas Füllkrug eventuell doch noch in dieser Saison zum Einsatz kommen können?

Florian Kohfeldt: „Bei Niclas würde ich keinerlei Hoffnung verbreiten. Es geht bei ihm darum, dass er im Hinblick auf die neue Saison wieder mit der Mannschaft trainieren kann. Ich sehe keine Möglichkeit, dass er vor dem 30. Juni bereits wieder in den Spielbetrieb einsteigt. Bei ‚Möh‘ müssen wir abwarten, was im Mai passiert. Bei ihm ist eine Rückkehr noch in dieser Saison nicht so unwahrscheinlich wie bei Niclas.“

WERDER.DE: Durch die Verschiebung der EM ergibt sich für die Bundesliga ein neuer Zeitkorridor, um die Saison zu Ende zu spielen. Was bedeutet das für die Planung, da ja davon auszugehen ist, dass bei einer Fortsetzung der Liga viele Spiele in relativ kurzer Zeit gespielt werden?

Florian Kohfeldt: „Im Hinblick auf die Gegneranalyse oder auch die eigene Spielvorbereitung wird sich ein komplett neuer Rhythmus ergeben. Das ist im Fußball aber eine Situation, die uns nicht unbekannt ist. Wir kennen englische Wochen aus Pokal und der Bundesliga. Der Unterschied ist eben, dass es dann nicht nur eine, sondern mehrere Wochen sind. Für die Spieler, die regelmäßig spielen, sehe ich da kein großes Problem. Zwischen den Partien geht es eher darum, sie taktisch bestmöglich auf den nächsten Gegner einzustellen. Herausfordernd ist das Training eher für die Ersatzspieler. Da muss man über parallele Trainingseinheiten nachdenken. Das sind aber alles Dinge, mit denen wir uns erst wirklich konkret beschäftigen, wenn der neue Spielplan veröffentlicht wird.“ 

 

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