Laufmann: "Brauchen eine sachliche und differenzierte Debatte"

Anne-Kathrin Laufmann im Interview zu Fanarbeit und Pyrotechnik

Anne-Kathrin Laufmann sitzt am Schreibtisch
Anne-Kathrin Laufmann fordert rund um Gewalt in Fußballstadien und den Einsatz von Pyrotechnik eine faktenbasierte und differenzierte Debatte (Foto: WERDER.DE).
Interview
Mittwoch, 16.10.2024 / 18:00 Uhr

Das Interview führte Yannik Cischinsky

Am Freitag findet in München das ‚Spitzengespräch zu Gewalt im Fußball‘ statt. Mitglieder der Sport- und Innenministerkonferenz treffen Bundesinnenministerin Nancy Faeser sowie Vertreter*innen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Konkret soll es darum gehen, wie die Gewalt und der Einsatz illegaler Pyrotechnik in den Bundesligastadien verhindert werden können.  

Im Vorfeld werden Forderungen nach härteren Strafen wie Punktabzug oder der kollektive Ausschluss von Fans beispielsweise bei Gewalt und dem Einsatz von Pyrotechnik laut. In zwei Interviews blicken Werders Geschäftsführer*innen, Anne-Kathrin Laufmann und Tarek Brauer, auf die Situation in Bremen, auf die Fanarbeit beim SV Werder und die Sicherheitsinfrastruktur im Weserstadion.

WERDER.DE: Im Vorfeld des Spitzengesprächs wurde über die Wiedereinführung von Kollektivstrafen, Schnellgerichte zur Bestrafung noch im Stadion, Punktabzüge, Spielabbrüche, Geisterspiele und viele weitere harte Strafen diskutiert. Wie populistisch sind diese Forderungen?

Anne-Kathrin Laufmann: „Viele Vorschläge sind populistisch und schwer umsetzbar. Sie tragen zu einer weiteren Emotionalisierung des Themas bei und verhärten die Fronten in diesem ohnehin sehr komplexen Thema.“

WERDER.DE: Es wird das Narrativ bedient, der Fußball müsse nun endlich handeln, sonst werde die Politik hart durchgreifen. Haben die Bundesligavereine in den vergangenen Jahren tatenlos zugesehen, während die Gewalt in Fußballstadien immer weiter zugenommen hat?

Anne-Kathrin Laufmann: „Keinesfalls. Bei Werder wird seit über einem Jahrzehnt verlässliche, kontinuierliche und wertvolle Fanarbeit geleistet, die sich stetig weiterentwickelt. Gleiches gilt für viele andere Bundesligastandorte. Bei uns bündelt beispielsweise die Abteilung Fankultur & Antidiskriminierung das Engagement. Vier hauptamtliche Mitarbeiter*innen in Vollzeit sind Ansprechpersonen für alle Fans. Präventionsarbeit muss kontinuierlich geleistet werden, um Wirkung zu entfalten. Ich möchte aber noch mal auf die Behauptung, die Gewalt in Stadien habe immer weiter zugenommen, eingehen. Das kann ich so nicht stehen lassen…“

WERDER.DE: Inwiefern?

Anne-Kathrin Laufmann: „Die Zahlen, beispielsweise aus den Jahresberichten der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), zeigen ein anderes Bild. Die Verletztenzahlen liegen beispielsweise rund 30 Prozent unter dem Niveau von vor zehn Jahren, die eingeleiteten Ermittlungs- und Strafverfahren ebenfalls weit darunter – und das bei höheren Gesamtzuschauerzahlen. Um mal einen Wert zu nennen: 2022/23 wurden bei knapp 20 Millionen Stadionbesucher*innen in der 1. und 2. Bundesliga 795 Personen verletzt, das entspricht 0,00049 Prozent. Natürlich ist jede Person eine zu viel, aber es braucht auch eine realistische Betrachtung der Fakten. Wenn so viele Menschen zusammenkommen, wie bei einem Fußballspiel, geschieht das leider nicht völlig konfliktfrei.“

WERDER.DE: Die Pyrotechnik-Vorfälle haben sich allerdings laut Jahresbericht in den letzten Jahren verzehnfacht…

Anne-Kathrin Laufmann: „Wir müssen festhalten, dass Sanktionierungs- und Abschreckungsmechanismen nicht greifen, dass Strafen der Verbände und das Weiterreichen an Fans keine Wirksamkeit zeigen. Auch das Verschärfen der Sicherheitsarchitektur hat nicht dazu beigetragen, dass weniger Pyrotechnik zum Einsatz kommt. Wichtig ist, dass wir uns trotzdem nicht zu emotionalen Diskussionen oder einer weiteren Eskalation hinreißen lassen, sondern uns sachlich, differenziert und faktenbasiert mit dem Thema auseinandersetzen.“

Pyrotechnik ist Teil einer Fankultur im Fußball.
Anne-Kathrin Laufmann, Geschäftsführerin Sport & Nachhaltigkeit

WERDER.DE: Was braucht es für diesen Diskurs?

Anne-Kathrin Laufmann: „Zunächst eine Akzeptanz dafür, dass Pyrotechnik Teil einer Fankultur im Fußball ist. Darüber hinaus braucht es den strukturierten, bundesweiten Dialog mit allen Beteiligten, um gemeinsame Lösungswege zu definieren “ 

WERDER.DE: Der Umstand, dass keine Fanvertreter*innen zum Spitzengespräch eingeladen sind, sorgt in Teilen der Fanszene für Kritik. Wie stehst du dazu?

Anne-Kathrin Laufmann: „Die Erfahrung zeigt ganz klar: Es braucht unterschiedliche Perspektiven, also nicht nur die Expertise der Sicherheitsexpert*innen und Fanbeauftragten auf Vereins- und Verbandsseite, sondern auch die Einschätzungen von Fanvertreter*innen für einen echten Dialog.“

WERDER.DE: Was könnten Lösungsansätze sein?

Anne-Kathrin Laufmann: „Wir täten gut daran, häufiger über den Tellerrand zu blicken. Ein Weg könnte sein, sich in Bezug auf den Umgang mit Pyrotechnik an anderen Ländern wie zum Beispiel Schweden zu orientieren. Hier waren einige Vertreter*innen von Werder bereits vor einigen Jahren vor Ort, um sich über diverse Ansätze zu informieren. Auch das damals diskutierte Thema der kalten Pyrotechnik resultierte aus dieser Reise."

Lösungsansätze und AK-Arbeit

WERDER.DE: Lösungsansätze wurden unter anderem im ‚Arbeitskreis Verbandsstrafen‘ erarbeitet. Was verbirgt sich dahinter?

Anne-Kathrin Laufmann: „Der AK ist ein Zusammenschluss aus Klubs wie beispielsweise Dortmund, Hamburg, Frankfurt und auch Werder, die in der Vergangenheit ein besonderes Interesse an der Thematik gezeigt haben. Über knapp zwei Jahre wurden Vorschläge entwickelt, deren Fokus auf der Weiterentwicklung der verbandsrechtlichen Grundlagen liegt, vor allem, um aus der Spirale eines unwirksamen Strafzahlungssystems herauszukommen, dass immer mehr eine wirtschaftliche Belastung für die Vereine wird. Über die Ergebnisse wurden bis dato die Geschäftsführungen der Erst- und Zweiligavereine informiert und ein ausgesprochen positives Feedback erhalten. Dem Arbeitskreis gehören auch zwei Werder-Vertreter*innen an.“

WERDER.DE: Zudem ist der SV Werder Teil der AG Stadionsicherheit des DFB. Was hat es damit auf sich?

Anne-Kathrin Laufmann: „In der AG Stadionsicherheit wurden unter Mitwirkung der Vereine und der DFL im vergangenen Dreivierteljahr in meinen Augen ebenfalls konstruktive Lösungsvorschläge zu Gewalt und Pyrotechnik im Fußball erarbeitet, die dem DFB vorliegen und eine Grundlage für das Spitzengespräch am Freitag bilden können. Es war ein 20-köpfiges Gremium aus unterschiedlichen Bereichen, zu dem auch Vertreter*innen der professionellen Fanarbeit gehörten. Vom SV Werder Bremen wurde Julia Düvelsdorf berufen, die die Sichtweise der Fanbeauftragten vertrat.“

WERDER.DE: Ein Medienbericht von Dienstagabend suggeriert, dass die Positionen des AK Verbandsstrafen die Ergebnisse der AG Stadionsicherheit konterkarierten. Werder sitzt in beiden Arbeitsgruppen. Inwiefern trifft das zu? 

Anne-Kathrin Laufmann: „Beide Arbeitsgruppen haben mit unterschiedlichem Fokus für die gleiche Sache gearbeitet, nämlich die Sicherheit in den Stadien nachhaltig zu verbessern. Die Ergebnisse widersprechen sich nicht, sondern stoßen in die gleiche Richtung und sollten vielmehr ineinander greifen, um gemeinsam mit allen zu einer guten Lösung zu gelangen.“

WERDER.DE: Ohnehin hat sich Werder auf die Fahne geschrieben, sich aktiv ins Netzwerk einzubringen. Wie wirkt Werder überregional, abgesehen von den genannten Arbeitsgemeinschaften, an Lösungen mit?

Anne-Kathrin Laufmann: „Zum einen ist hier unsere Leiterin Fankultur & Antidiskriminierung, Julia Düvelsdorf zu nennen, die seit mehr als einem Jahrzehnt Bundessprecherin der Fanbeauftragten in Deutschland ist, sowie Arne Scholz, der Regionalsprecher Nord der Fanbeauftragten ist. Intensive Netzwerkarbeit ist aber auch auf Bremen bezogen ein Schlüssel für ein gutes Sicherheits- und Präventionsnetzwerk. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Behörden, der Polizei und Feuerwehr - dazu kann Tarek Brauer sicher mehr sagen (zum Interview mit Tarek Brauer). Zudem pflegen wir einen stetigen Dialog mit unseren Fans."

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WERDER.DE: Welche Dialogformate gibt es denn in der Fanarbeit?

Anne-Kathrin Laufmann: „Unterschiedliche Gesprächs- und Dialogformate laufen bereits seit Jahren, der Fanbeirat existiert in Bremen beispielsweise seit 2011 und damit schon viel länger als die Lizenzauflage bei der DFL besteht. Wir stehen im dauerhaften Dialog mit unseren Fans . Der Austausch hat sich in den letzten Jahren durch einen hohen Informationsfluss und große Transparenz ausgezeichnet. Es ist in der Wahrnehmung aller ein konstruktiver Austausch.“

WERDER.DE: Welche Rolle spielt das Fan-Projekt Bremen?

Anne-Kathrin Laufmann: „Wir arbeiten eng mit den sozialpädagogischen Kolleg*innen aus dem Fan-Projekt Bremen e.V. zusammen. Sie sind ein wichtiger Bündnispartner und leisten einen wichtigen Beitrag durch ihre aufsuchende Jugendarbeit und die offenen Angebote, beispielsweise durch U18-Fahrten, ein wöchentliches Fußballangebot, den Lernort OstKurvenSaal und ihre sozialpolitische Bildungsarbeit, aber auch der Betrieb des OstKurvenSaals, der  eine wichtige Anlaufstelle für viele Fans ist.“

WERDER.DE: Welchen Beitrag leistet das Awareness-Konzept „Kennst du Mika?“ in puncto Sicherheit?

Anne-Kathrin Laufmann: „Das ist ein weiterer wichtiger Baustein. Menschen, die sich bedroht, bedrängt oder belästigt fühlen, können sich mit dem Codewort an das Ordnungspersonal wenden. Seit der Einführung 2022 konnten wir das Konzept mit engagierten Ehrenamtlichen verstetigen und stehen im bundesweiten Vergleich sehr gut da. Wir freuen uns, dass wir mit dem Konzept als Vorreiter im Fußball wahrgenommen werden und zahlreiche Vereine bereits zum Thema Awareness bei uns hospitiert haben. Die Abteilung Fankultur & Antidiskriminierung und vor allem das ehrenamtliche Awarenessteam leisten hier am Spieltag wirklich fantastische Arbeit.“

WERDER.DE: Nicht zuletzt hat Werder im vergangenen Jahr auch eine Arbeitsdefinition für sexualisierte Grenzüberschreitungen veröffentlicht…

Anne-Kathrin Laufmann: „Richtig. Sie bildet eine einheitliche Grundlage, auf der wir sexualisierte Grenzüberschreitungen einordnen und sanktionieren können. Sie ist im Grundsatz von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes übernommen. Bei der Erstellung ist auch die Expertise des Arbeitskreis Awareness eingeflossen, der sich seit 2020 für ein Stadionerlebnis ohne Übergriffe einsetzt und mit dem wir eng zusammenarbeiten.“

WERDER.DE: Welche Hoffnungen hast du an das Spitzengespräch am Freitag?

Anne-Kathrin Laufmann: „Wir brauchen eine sachliche und differenzierte Debatte, in der die Fans und die Vereine gehört werden. Es ist wichtig, die Standorte individuell zu betrachten. Zudem sollte vermieden werden, den sportlichen Wettbewerb und das Fanverhalten in ein Verhältnis zu stellen, wie es bei der Forderung nach Punktabzügen bei Vergehen der Fall wäre. Eine vermeintlich einfache Lösung dieses vielschichtigen Themas durch eine politische Entscheidung auf Bundesebene gibt es nicht.“

 

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