"Sie war immer da und wird wahrscheinlich immer bleiben"

Lisa-Marie Scholz und Michelle Ulbrich im Doppelinterview

Michelle Ulbrich und Lisa Scholz laufen jubelnd mit ausgebreiteten Armen aufeinander zu.
Michelle Ulbrich löst Lisa-Marie Scholz als Rekordspielerin des SVW ab (Foto: WERDER.DE).
Frauen
Sonntag, 12.05.2024 / 10:00 Uhr

Das Interview führte Fiona John

Lisa-Marie Scholz und Michelle Ulbrich verbindet eine Menge. Nicht nur die Liebe zum SV Werder, sondern auch Werte wie Vereinstreue, die beide wie kaum eine andere leben. So ist die frühere Werder-Kapitänin Scholz mit 249 Pflichtspielen noch Rekordspielerin der Grün-Weißen. Ein Titel, den Ulbrich nach ihrem 250. Einsatz im Spiel gegen Wolfsburg übernehmen wird. 

WERDER.DE: Moin Lisa, moin Mitch. Lisa, lange nichts gehört von dir. Wie geht es dir? Was machst du aktuell?

Lisa-Marie Scholz: Mir geht es gut. Ich bin ja, nachdem ich aus Spanien wiedergekommen bin, quasi sofort in die Mutterschaft eingestiegen und bin von einem Extrem ins nächste gerutscht. Ich habe Zwillinge zuhause, die ein Jahr alt sind und bin aktuell dementsprechend noch in Elternzeit.

WERDER.DE: Du hast lange mit Mitch zusammengespielt. War dir da schon klar, dass sie mal genau wie du eine der erfahrensten Leistungsträgerinnen bei Werder wird?

Lisa-Marie Scholz: Michelle hat von Anfang an bei uns eine tragende Rolle übernommen. Wir haben jahrelang zusammen hinten alles sauber gehalten. Sie war immer da und wird wahrscheinlich auch immer dableiben. Sie ist sehr vereinstreu, lebt Werder Bremen und ist ein Stück weit auch schon Werder Bremen. Das war über die Jahre irgendwann klar für mich, dass sie mir den Titel als Rekordspielerin ablaufen wird.

WERDER.DE: Also hast du damals schon geahnt, dass es Michelle sein könnte, die deinen Rekord bricht?

Lisa-Marie Scholz: Ja. Ich freue mich, dass es ausgerechnet Michelle ist. Ich hätte an dieser Stelle auch keine andere Spielerin gesehen. Gerade, wo im Frauenfußball alles schnelllebiger und professioneller wird. Es wird häufiger der Verein gewechselt. Dann wird es wie bei den Männern eher selten sein, dass jemand so lange in einem Verein spielt.

WERDER.DE: Mitch, war Lisa für dich damals ein Vorbild?

Michelle Ulbrich: Voll. Lisa hat damals eine Art Mentorinnen-Rolle für mich eingenommen, weil sie einfach die Erfahrung hatte und meine Position gespielt hat. Es hat mir extrem geholfen, dass ich neben mir eine Spielerin hatte, die mich ein Stück weit an die Hand genommen und mir gezeigt hat, wie es ist im Erwachsenenfußball Fuß zu fassen.

Ich habe Lisa mit dem einen Spiel jetzt überholt, sie wird aber immer ein Vorbild für mich bleiben.
Michelle Ulbrich

WERDER.DE: Ist die Marke 250 für dich irgendwann ein Ziel geworden oder kam das jetzt von allein?

Michelle Ulbrich: Ein Ziel ist es nicht geworden. Es ist aber immer schön, wenn man bei seinem Herzensverein, bei dem man groß geworden ist, so eine Marke erreicht. Dabei spielt für mich auch Wertschätzung und Dankbarkeit eine große Rolle, hier so lange so viele Spiele machen zu dürfen.

WERDER.DE: Was bedeutet dir die Marke 250 und der Titel Rekordspielerin?

Michelle Ulbrich: Der Titel ist natürlich schön. Lisa hat wie gesagt eine Mentorinnen-Rolle für mich eingenommen. Deshalb sehe ich mich da nicht als die einzige Rekordspielerin. Ich habe Lisa mit dem einen Spiel jetzt überholt, sie wird aber immer ein Vorbild für mich bleiben.

WERDER.DE: Nimmst du die Mentorinnen-Rolle mittlerweile selbst ein?

Michelle Ulbrich: Ja, ich versuche schon die jüngeren Spielerinnen, insbesondere die auf meiner Position spielen, mit an die Hand zu nehmen. Das was Lisa für mich getan hat, möchte ich weitervermitteln.

WERDER.DE: Ihr habt damals viele Höhen und Tiefen gemeinsam erlebt, Aufstiege wie Abstiege. Wie war diese Zeit und gibt es ein gemeinsames Spiel, dass euch beiden in Erinnerung blieb?

Lisa-Marie Scholz: Mir ist im Kopf geblieben, dass Michelle und ich trotz unseres Altersunterschieds immer auf Augenhöhe waren. Das fand ich immer total angenehm – auch wenn Michelle das mit der Augenhöhe am Anfang anscheinend ein bisschen anders gesehen hat, wie ich jetzt höre (lacht). Man konnte sich sehr schnell auf Michelle verlassen, sowohl auf als auch neben dem Platz. Das hat sich bis heute nicht gewandelt. Deswegen spricht dieser Rekord für sie. Ich erinnere mich an das Spiel gegen Bayern München, wo wir bis kurz vor Schluss das 0:0 halten und dann haben die ein ganz komisches Tor geschossen. In dem Spiel haben wir uns wirklich so reingekämpft und in alles reingeschmissen. Das macht man dann halt einfach zu zweit und feiert sich für solche Sachen. Diese Energie zu spüren ist das, was man behält und mitnimmt.

Michelle Ulbrich: Genau wie für Lisa sind es für mich die Spiele gegen die großen Mannschaften. Als wir es geschafft, haben lange die Null zu halten, während wir noch deutlich kleiner waren im Frauenfußball als jetzt. Das macht was mit einem als Verteidigerin. Man steigert sich immer weiter rein. Wenn man dann sieht, dass man es gegen Bayern München schafft, 90 Minuten die Null zu halten und in der Nachspielzeit dann ein Eiertor kriegt, sind das Spiele, die in Erinnerung bleiben. Weil man es geschafft hat, gegen Weltklassespielerinnen seinen Job zu machen.

WERDER.DE: Mitch, was war dein Highlightspiel in Grün-Weiß. Und deins Lisa?

Michelle Ulbrich: Es ist für mich das Spiel in Kiel, wo wir zum ersten Mal aufgestiegen sind. Weil es irgendwie überraschend war. Zwei Wochen vorher war Aufstieg noch gar kein Thema. In meiner Erinnerung bin ich am Spieltag in den Bus gestiegen und jemand sagte: Ach übrigens, wenn wir gewinnen, spielen wir in der ersten Liga. Das war einfach brutal. 

Lisa-Marie Scholz: Es sind gerade solche Spiele, die Aufstiegsspiele, wo man hinterher schön zusammen feiern konnte. Das war immer total schön. Genauso, wenn wir die Großen mal ärgern konnten. Gerade in den ersten Spielzeiten in der ersten Liga haben wir uns über jeden Punkt gefreut. Wenn das dann gegen eine etablierte Mannschaft war, war es natürlich noch ein größeres Ding.

Ich erinnere mich an Pokalspiele in der Woche, wo die meisten vorher acht Stunden gearbeitet und dann abends noch kurz eben 90 Minuten gegen Bayern gespielt haben.
Lisa-Marie Scholz

WERDER.DE: Nach dieser Saison, in der Werder nichts mit dem Abstieg zu tun hatte, kann man behaupten, der SVW hat sich in der Bundesliga etabliert.

Lisa-Marie Scholz: Ich beobachte das natürlich von außen. Es freut mich total, dass Werder es jetzt geschafft hat, mal nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben. Teilweise sogar auch Mannschaften hinter sich gelassen hat, die viele Jahre wirklich bei uns immer gewonnen haben oder schon viel länger dabei sind. Dadurch hat sich das Mannschaftsgefüge aber auch verändert. Viele Spielerinnen sind von außerhalb gekommen. Das ist aber auch normal und gut. Sonst hätte man es wahrscheinlich nicht hinbekommen, sich da oben jetzt festzusetzen.

Michelle Ulbrich: Ich glaube schon, dass wir es ein Stück weit geschafft haben, uns zu etablieren. Die kleine Liga bringt dennoch jedes Jahr aufs Neue die Gefahr mit, unten reinzurutschen. Zum Glück war diese tatsächlich die erste Saison ohne Kopfschmerzen. Seit diesem besagten Spiel in Kiel wussten wir nie, in welcher Liga wir im nächsten Jahr spielen und waren im Aufstiegs- bzw. Abstiegskampf. Was Lisa angesprochen hat, gehört aber auch dazu: Früher waren wir ein eingeschweißter Haufen, die Hälfte der Mannschaft kam aus Bremen und alle waren hier verwurzelt. Das hat sich natürlich ein Stück weit gewandelt. Musste es aber auch, um diesen Schritt ins Mittelfeld der Liga zu gehen. Für mich persönlich war es aber eine Umstellung, dass der Sport hier bei Werder professioneller geworden ist. Dass Leute den Verein wechseln und nicht von Anfang bis Ende ihrer Karriere in einem Verein spielen. Da musste ich mich auch erstmal dran gewöhnen.

WERDER.DE: Ihr deutet es beide an. Lisa, du hast den Blick von außen, Mitch die Sicht von innen: Was hat sich verändert im Vergleich zu den Jahren, wo es noch auf und ab ging zwischen Liga eins und zwei?

Lisa-Marie Scholz: Wir mussten damals ganz viel kämpfen, um zum Beispiel mal auf einem vernünftigen Platz zu trainieren. Wir hatten damals ganz viele Nebenschauplätze – auch privat. Ich erinnere mich an Pokalspiele in der Woche, wo die meisten vorher acht Stunden gearbeitet und dann abends noch kurz eben 90 Minuten gegen Bayern gespielt haben. Das ist heute in der Regel nicht mehr so. Es ist einfach alles professioneller. Es freut mich total, dass es jetzt auch hier angekommen ist. Dazu die Spiele im Stadion. Dabei haben zwei Herzen in meiner Brust geschlagen. Ich habe mich riesig für die Mädels gefreut, auf der anderen Seite denkt man sich, wäre ich mal drei oder vier Jahre später geboren, dann hätte ich nochmal ein Spiel mitnehmen können. Das wäre natürlich auch super gewesen.

Michelle Ulbrich: Bei uns ist keine mehr, die Vollzeit arbeitet. Jede kann das selber entscheiden, ob sie Lust hat nebenbei zu arbeiten. Jede kann ihr Leben komplett nach dem Sport ausrichten und gestalten. Das ist extrem wichtig gewesen, um den Schritt ins Mittelfeld zu machen und nicht mehr unten drin zu stehen. Durch die Veränderungen sind wir ein attraktiver Verein für andere Spielerinnen geworden. Auch mit den Spielen im Stadion. Dass über 20.000 Fans herkommen, hat nicht jeder Verein zu bieten.

WERDER.DE: Was macht Werder als Verein denn für euch aus? Schließlich steht ihr beide für Vereinstreue wie kaum andere Spielerinnen.

Lisa-Marie Scholz: Für mich ist das einfach Familie. Ganz am Anfang waren wir als Team besonders eng zusammen. Mittlerweile ist alles gewachsen. Dazu ist Werder ein Verein, der anfangs im Frauenbereich noch keine großen Sprünge machen konnte. Im Gegensatz dazu gibt es viele Vereine, wo der Frauenbereich am Anfang einfach aufgeplustert und Geld reingesteckt wird und dann ist nach drei Jahren der Ofen wieder aus. Hier war das immer eine ehrliche Arbeit, die wir gemacht haben. Unsere Möglichkeiten haben wir immer voll ausgeschöpft.

Wir wissen, dass es immer vorangeht. Zwar in kleinen Schritten, aber durch ehrliche Arbeit. Das ist es, was Werder ausmacht.
Michelle Ulbrich

Michelle Ulbrich: Ich finde auch, dass es der familiäre Teil ist. Der Staff, die gesamte Abteilung und wir Spielerinnen haben über die Jahre ehrliche Arbeit geleistet – alle geben, was sie können. Und dann guckt man am Ende, was dabei rumkommt. Hier geht es immer bergauf. Meistens ein bisschen langsamer als bei anderen Vereinen, aber dafür ohne Schwankungen. Wir wissen, dass es immer vorangeht. Zwar in kleinen Schritten, aber durch ehrliche Arbeit. Das ist es, was Werder ausmacht.

WERDER.DE: Mitch, was willst du mit Werder noch erreichen und wie viele Spiele sollen noch dazu gekommen?

Michelle Ulbrich: So viele Spiele wie möglich. Es hängt an verschiedenen Faktoren. Ich muss erstmal gesund und fit bleiben, was nicht selbstverständlich ist. Ich will erreichen, dass es der Verein im Rahmen seiner Möglichkeiten schafft, sich wirklich im Mittelfeld zu etablieren und über mehrere Jahre nicht in Abstiegsnot gerät. Das sorgenfrei weitergearbeitet werden kann, Tag für Tag und man am Ende jeder Saison einfach schauen kann, was geht.

WERDER.DE: Danke euch beiden für das Gespräch! 

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