Die Grün-Weißen haben sich durch die gleichsam unnötige wie unglückliche 1:2-Heimniederlage gegen den VfB Stuttgart vom letzten Wochenende vor dem Derby selber unter verstärkten Druck gesetzt. Statt der erhofften Rückeroberung des so wichtigen dritten Tabellenplatzes liegt das Team von Cheftrainer Thomas Schaaf unverändert auf Rang vier und musste - im Radsportjargon gesprochen - weiter "abreißen lassen". Vier Punkte beträgt der Abstand auf die Schwaben, ganze neun Punkte trennen die Bremer vom Spitzenduo aus München und Gelsenkirchen.
Nachdem der Meisterschaftszug sieben Spieltage vor dem Saisonende wohl endgültig ohne den Titelverteidiger abgefahren zu sein scheint, heißt es nun, sich mit aller Kraft und Stück für Stück wieder heranzukämpfen. Mit einem Sieg beim HSV würde das Ziel 'Champions-League-Qualifikation' näher rücken, vorausgesetzt die Konkurrenz "ließe Federn". "Wenn wir Platz drei zurückerobern wollen, müssen wir aus Hamburg die drei Punkte mitnehmen", fordert denn auch Sportdirektor Klaus Allofs. Damit der Saisonendspurt für Werder auch mit einem Erfolgserlebnis beginnen kann, muss sich das zuletzt aus der Balance geratene Aufwands- und Ertragsverhältnis im Spiel der Bremer wieder einpendeln. Gegen den VfB Stuttgart konnte (wie schon zu oft in dieser Spielzeit) kein Kapital aus der zum Teil deutlichen Überlegenheit geschlagen werden.
Hamburg mit großen Verletzungssorgen
Der Hamburger SV durchschreitet derzeit eine kleinere Talsohle. Die Euphorie der vergangenen Wochen hat durch die unerwartete 2:3-Heimschlappe gegen Borussia Dortmund vom vorletzten Spieltag einen Dämpfer erhalten. Und auch das 1:1-Unentschieden am vergangenen Wochenende gegen den designierten Absteiger SC Freiburg wurde an der Elbe im Streben um einen Uefa-Cup-Platz wie eine Niederlage gewertet.
Zu allem Überfluss fing sich der unter Cheftrainer Thomas Doll wiedererstarkte Sergej Barbarez in Freiburg eine Rote Karte ein, was den Hamburger Topscorer (schon elf Tore) am Mitwirken im Derby hindert. Genauso wie Stürmer Emile Mpenza, der gegen Werder eine Gelb-Sperre absitzen muss. Mpenzas Angreifer-Kollegen Benjamin Lauth bleibt dagegen das Verletzungspech treu: Der Youngster fällt wegen einer Knöchelverletzung bis zum Saisonende aus. Sorgen über Sorgen für Thomas Doll, der auch im Defensivbereich gegen den deutschen Meister nicht seine Bestbesetzung aufbieten kann. Der holländische Nationalspieler Khalid Boulahrouz (Zerrung) kann vermutlich nicht spielen, für den Innenverteidiger dürfte erneut Bastian Reinhardt in die Startelf rücken. Den Platz im Sturmzentrum neben dem Japaner Takahara könnte der hochgelobte Amateur-Spieler Kucukovic einnehmen.
Mitverantwortlich für den Hamburger Höhenflug, der das Team in Reichweite der Uefa-Cup-Plätze gebracht hat, ist Kapitän Daniel van Buyten. Der 27-jährige baumlange Belgier hat sich längst als Leader in der neuen HSV-Mannschaft etabliert. Kompromisslos im Zweikampfverhalten, ungemein kopfballstark und dazu noch torgefährlich, van Buytens Stärken haben sich in der Liga herumgesprochen: "Dass der van Buyten bei Standards mit nach vorne kommt, wissen wir. Und wir sind darauf eingestellt", sagt Thomas Schaaf kurz und knapp.
Werder-Lazarett lichtet sich
Viel wichtiger, als auf die Stärken des Gegners hinzuweisen, findet der Bremer Coach aber, dass sich die lange Liste seiner verletzten Spieler 48 Stunden vor dem Derby offenbar rechtzeitig verkürzt. Die angeschlagenen Lisztes, Borowski, Baumann, Pasanen, Klose und Valdez werden - laut Schaaf - allesamt am Donnerstagnachmittag im Teamtraining zurückerwartet. "Bei allen besteht die berechtigte Hoffnung, dass sie bis zum Spiel noch rechtzeitig fit werden", so der Trainer, der gegen den HSV in jedem Fall auf Valérien Ismaël (Gelb-Sperre) verzichten muss.
Rund 6.000 Werder-Fans, so viele wie noch nie bei einem Auswärtsspiel in Hamburg, werden in der mit über 55.000 Zuschauern ausverkauften AOL-Arena dabei sein und ihr Team bedingungslos unterstützen. Sie alle wünschen sich nichts lieber als einen Erfolg über den Nordrivalen. Derby-Siege sind eben ganz besondere Siege.
Klaus Bellstedt